Mausgrau mit Türkis
15/06/2008
Die Blitze haben die Farben ausgeknipst
Manchmal ist man mausgrau und manchmal ist man’s nicht. Blitzige Nacht, mit Donner und Hagel. Selbst stand man am Bügeltisch und starrte durchs Fenster. Mit dem Schlaf kam was Trauriges und das Mausgraue über einen. Der Gewitterregen hatte den Liftschacht geflutet, die Hausmeisterin erzählt es am Morgen, im Treppenhaus vorbeikeuchend, auf dem Weg nach oben.
Selbst ist man auf dem Weg nach unten, auf die Straße, nach unten, zur U-Bahn. Wo man draufkommt, dass man das Handy vergessen hat vor lauter Mausgrauigkeit. Aber zurück ist weit weg, mag es klingeln. Keine Lautwegstöpsler ins Ohr, keinen Sonnenbrillenfilter vor die Augen, heut muss alles pur rein ins Hirn, alle Bilder, alle Geräusche. Asiate mit Holzperlenarmband. Frau mit goldenen Sandalen.
„Golgene Sandalen“ schreibe ich erst, als Kind verwechselte ich immer d und g. Als Große mache ich das an Tagen wie heute. Haarscharf vorbeischrammen an der Depression, bloß nicht Reinkippen in das brackige Wasser. (Was erzählt sie uns, werden Sie denken. Das, was ist, also das Übliche.)
„Erbst“ sagte mein Sohn früher, ihm fehlte das H. Als Kind fehlt einem immer was, Mut zum Beispiel oder Gleichgültigkeit, und jetzt winke ich meiner Schwester zu (erinnerst Du Dich an den Urlaub bei den Großeltern am Attersee?). Ich erinnere mich an Scham. Grüne kurze Hosen aus Frottee. An die Scham, sich darin vor fremden Kindern zu zeigen.
Aber älter wurden wir mit Stil, meine Schwester und ich. Drehten alle Lichter ab bei Gewitter, öffneten alle Fenster weit und hörten Klassik, bis uns alphaltnasser Sommerduft in die Nasen stieg. Bis kiloschwere Tropfen das Alublech am Fensterbrett zerbombten und wir nichts sagen mussten, nicht, weil wir uns so lieb hatten, dazu stritten wir zu oft, sondern weil wir uns so einig waren.
Die Stadt hat heut mein Mausgrau angezogen und zeigt sich mutig hässlich. Mach das auch, sag ich mir, zeig dich mal in grünen Frotteehosen, vorne ein kleiner blauer Anker draufgestickt, vielleicht lacht ja eh niemand. Unwahrscheinlich. Vielleicht ist es aber auch egal.
Am Handgelenk baumelt Türkis in Armbandform. Fahren Sie mit der U6 Richtung Spittelau und zählen Sie die türkisen Flecken, es sind viele. Oder die Stadt spiegelt sich einfach und wenn ich morgen das Kupferfarbene trage, holt sie es auch heraus. Die Stadt. Aus dem Schmuckkästchen. Kupfer. Rost. Alles Metallische.
Wien ist wunderschön im Sommer.
Wenn doch das Mausgraue zurückbleiben könnte, aber ganz wird man es wohl nie los. Man versteckt sich am besten, indem man sich nicht versteckt und ziemlich sicher ist es gut, auf Cioran zu hören – der meinte, das nichts, was einem widerfährt, für jemand anderen von Belang sei, von irgendeinem Interesse.
Nur, worüber schriebe ich sonst? Über Ausgedachtes? Das bewusste Lügen fällt recht schwer, man sollte es zumindest probiert haben. Unbewusst lüge ich oft, aber ungelogen ist, dass ich müde bin und sicher nicht depressiv, sondern, ich sagte es: mausgrau. Gestern haben die Blitze die Farben ausgeknipst. Das geht vorüber.