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Markusplatz

03/02/2020

Auf der Suche nach etwas völlig anderem finde ich ein Bild von mir. In einer schwarzen Mappe, ganz unten in einem Karton. Einem von mehreren, die unausgeräumt im Kasten stehen. Nicht warten. Sondern einfach sind. Seit der großen Übersiedlung, der Inhalt soll (und wann?) in Ruhe sortiert werden, zumindest einmal noch befühlt.

Musste, um zu dieser schwarzen Mappe zu kommen (die nicht das Ziel war), alle anderen Kartons erst aus dem Kasten heben, ausräumen, wieder einräumen, wegstellen, nächster Karton. Das Gesuchte fand sich nicht in der Form, in der es sich hätte finden lassen können, liefe heuer etwas nach Plan.

(Der Jänner wortleer und schwer. Der Februar, der Februar? Das wird sich noch erweisen.)

In der Mappe: Negativstreifen und Fotos, seit gut zehn Jahren nicht in der Hand gehabt. Ich muss um die zwanzig gewesen sein, als ich die Bilder gemacht und mit Hilfe eines Freundes in der Dunkelkammer entwickelt habe.

Eines davon zeigt mich auf der Piazza San Marco. War sehr früh am Morgen in die Stadt gekommen, um vor allen anderen allein durch die mir unbekannten Straßen zu laufen. Hatte dafür das offizielle Programm verweigert. Betriebsausflug, zweiter Tag: erst Murano, dann Aufenthalt in Venedig. Für mich kein Murano, gleich Venedig, bis zum Abend. Ciao.

Leere Kaimauern, an denen sich kleine Wellen brechen. Ein Stilleben aus Kellerfenster, Abflussrohr, Mauer, Schatten und Blumentöpfen. Das Stuhl- und Tischbeingewirr vor einem Restaurant. All das sehe ich wieder. Und mich.

Die Erinnerung ist ungenau, ich bin aber sicher, dass es so war: Um Aufnahmen von den Stühlen und Tischen zu machen, kniete ich halb auf den glatten Pflastersteinen, es bedurfte eines Aufwands. Einer Hingabe, die ein Tourist beobachtet hatte. Er wartete, bis ich wieder aufrecht stand, bat mich mit einer freundlichen Geste um die Kamera, zog sie auf (das ritsch-ratschende Geräusch), ging ein Stück zur Seite, nahm mich dabei ins Visier. Ich drehte den Kopf, um ihm zu folgen. Hinter mir rückte der Markusdom ins Bild, und Tauben, der Eisverkäufer, Menschen, Hitze, Geräusche, Gerüche, Geschäftigkeit, ein Sommertag im Juni oder Juli. Auch Leere, Raum, Zeit. Ein kurzer, still-ruhiger Moment. Das Licht sehr hell.

Dann gab mir der Mann die Kamera zurück, nickte zum Abschied, lächelte, ging weiter.

In Venedig war ich seither nie mehr, außer in zwei Texten. Einen davon habe ich kurz nach dieser Reise geschrieben. (Er ist ein wenig magisch geraten und bleibt lieber bei mir.)

Das neu gefundene, überbelichtete Bild wollte ich bearbeiten, am Computer, ich kann das mittlerweile: Tonwert korrigieren, Kontrast schärfen, kleine Makel entfernen. Ihm (und mir) das Weiche nehmen.

Aber, letztlich, warum?

 

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