Home

Mutterängste

30/07/2005

Plant mein Sohn eine Karriere als Messie?

Tag zwei der Wecker-Rettungsaktion. Wieder stehe ich an der offenen Tür zu Johnnys Zimmer, wieder hindert mich eine innere Sperre daran, meinen Fuß in dieses Chaos zu setzen. OK, vielleicht hindert mich weniger ein internes Hemmnis, sondern doch eher das Chaos an sich am Betreten vom Reich meines Sohnes. So lässt sich zwar die Tür öffnen, aber nur gegen den heftigen Widerstand eines Wäschekorbes, der seinerseits von lose verteilten Regalteilen aus Johnnys Kleiderschrank am Nachgeben gehindert wird. Schieb. Ächz. Offen.

Auf den lose verteilten Regalteilen verteilt sich ebenso lose die Bekleidung meines Sohnes. Der Schmutzwäschekorb ist leer. Nur eine einsame Hose sieht aus, als würde sie sich über seinen Rand stürzen wollen. Sie hält den Atem an, weil ich hinsehe. Keine Angst, mein Blick schweift weiter zum Wäscheschrank, der ebenfalls leer ist. Ganz leer – weil sich Regale und Wäsche ja geradezu orgiastisch am Boden wälzen. Abgesehen von der einen Hose, die wahrscheinlich nicht mitmachen darf und in das Schmutzwäscheexil verbannt wurde. Wie alle bösen Hosen.

War es pubertärer Weltzorn, der Johnny zu diesem Schrankmassaker zwang? Aber nein – die Erklärung liegt auf der Hand. Besser gesagt, sie liegt, wie alles in diesem Zimmer, auf dem Boden. Unsere Bohrmaschine. In Kombination mit diversen Bohrlöchern an der Kleiderschrankseite macht alles wieder Sinn: Der Knabe wollte basteln. Und wenn Jonas bastelt, dann überkommt ihn das anfallsartig, so wie unsereins Heißhunger auf Schokolade. Da wird nicht geplant, Platz gemacht, angezeichnet oder was ähnlich Ödes, wie zum Beispiel um Erlaubnis gefragt. Idee, Begeisterung und Ausführung sind eins. Das Scheitern kommt dann zeitgleich mit der Erkenntnis, dass es so doch nicht geht. Dass sich also ein uralter blauer Kasten nicht einfach in ein… ja was?… verwandelt.

Erwähnte ich übrigens, dass Johnny zwar Fleecepullover & Co gerettet hat, aber nicht eine Ansammlung von CDs? Die liegen nämlich auf dem Tischchen neben dem Schrank und freuen sich über eine Kurpackung Sägespäne. Aber keine Sorge, die CDs gehören nicht ihm. Sondern mir.

Wenn der Knabe demnächst vom Papa-Urlaub zurückkommt, muss ich wohl ein ernstes Wörtchen mit ihm reden. Was wollte er mit dem Kasten anstellen? Einen Riesen-Resonanzkörper für die E-Gitarre basteln? (Die lehnt im Eck und jammert über zwei gerissene Saiten.) Und generell: Plant mein Sohn eine Karriere als Messie? Ich zähle schon die Plastiksäcke. Außerdem können Menschen mit starkem Magen zwei Wochen in Johnnys Zimmer überleben, ohne auf Hilfe von außen angewiesen zu sein. Davon bin ich überzeugt, ohne sichtbaren Beweis. Der riechbare reicht.

Nein, es sind doch nicht die äußeren Umstände, die mich an der Tür festhalten. Es sind Fragen wie: Wenn sein Zimmer so aussieht, wie sieht es erst in dem Jungen aus? Will er mir damit etwas sagen? Gibt er damit Zeichen, die ich erkennen soll – und mir schlechter Mutter fehlt der Dechiffrierungs-Code? Und schließlich die Frage aller Fragen: Was habe ich falsch gemacht?

Seufz. Ich schließe die Tür wieder. Der Wecker muss vorerst bleiben, wo er ist. Er kann ja, bis ich ihn rette, Stunden zählen. Oder Tage.

Schwellenängste

15/07/2005

Eigentlich wollte ich mir nur meinen Wecker holen

„Mein Name sei Legion, denn ich bin viele.“ Nein, nicht meiner. Seiner. Es ist schlicht unmöglich, dass einer allein soviel Mist macht. Um meinen Wecker zu retten (den sich Jonas, aka „Johnny“, die sechzehnjährige Frucht meines Leibes, lieh, um sicher zu verschlafen) wagte ich mich in sein Zimmer. Ja, ja, ich weiß: Privatsphäre, Eintritt verboten, Rückzugsgebiet für hormongebeutelte Jungmänner. Aber ich liebe ihn! Er ist ein Wunderwerk der Technik! Der Wecker, nicht mein Sohn.

Ich öffne also die Tür. Vorsichtig. Langsam. Wer weiß, was einem da ins Gesicht springt? Mit Sicherheit eine hoch interessante Duftmischung. Was ist es diesmal? Tief einatmen, trau dich, Mädel: Ein Hauch von Zitrone kitzelt die Nase, gefolgt von dem maskulinen Aroma alter Socken. Im Abgang schmeckt das Ganze nach wochenalten Fast-Food-Resten. Und von wegen „flüchtig“: Das einzige, das sich hier verflüchtigt hat, ist der Urheber dieses olfaktorischen Traumas – Johnny ist auf „Papa-Urlaub“. Der Duft selbst bleibt zuverlässig haften. An allem. Und daher muss ich den Wecker retten.

Der funktioniert durch simples Zuwinken. Anders als der Bengel, der nicht einmal auf Zuruf reagiert. Soll heißen: Wenn MEIN Wecker mich frühmorgens sanft aus dem Schlaf piepst, wedle ich mit der schlafwarmen Hand darüber und er hält das Mäulchen noch für fünf Minuten. Sooft ich will. Brüllt hingegen die Weckfunktion SEINES Handys mitten in der Nacht, dann brüllen wir zu zweit. Das Handy und ich. Denn Johnnys Handy geruht in meinem Zimmer zu nächtigen, und obwohl wir es gemeinsam versuchen und dabei an die Wand trommeln wie verrückt… reagiert mein hinter dieser papierdünnen Wand schlafender Sohn nicht einmal ansatzweise.

Wahrscheinlich hat es ihm die Ohren verschlagen. Akute Hormonverstopfung. Ach was. Meinereine hat auch geschlafen wie niedergeknüppelt, bis der Nachwuchs begann, seine Ellbogenfestigkeit an meiner Bauchdecke zu testen. Ganz zu schweigen von den babygeschreidurchkrähten Nächten. Dann die Töpfchenroutine. Und die Zu-Mama-ins-Bett-Routine mit dem garantierten Ich-dreh-mich-50-Mal-bevor-ich-einschlaf-Effekt. Die vielen durchschwitzten Hochsommernächte mit atmendem Thermophor inklusive Magnethaftung an meiner Seite. So betrachtet schlafe ich schon seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten nur mehr oberflächlich, obwohl ich nun schon seit Jahren wieder alleine schlafen darf. (Jetzt halten mich die Sorgen wach, die der Jungmann zwecks Psychohygiene mit einem lässigen „Gute Nacht“ bei mir abliefert, um sich derart erleichtert in den Schlaf zu wälzen.)

Wen wundert’s, dass ich noch immer in der spaltbreit geöffneten Tür stehe, umwölkt von Duftschwaden, die an Müllhalde erinnern und vergessen habe, was ich wollte… ach ja. Der Wecker. Ich winke ihm aus der Distanz zu, bevor ich die Tür wieder schließe. Morgen ist Sonntag. Ich hol‘ dich da raus.