Verbindungstexte (6 Texte zu Bild und Ton)
19/10/2016
Die Texte zum Projekt Verbindungen: Fries, Klang, Text (mit Michael Hedwig/Bild, Rudolf Jungwirth/Ton und Udo Somma/Technik) sind Arbeitstexte, roh und in Veränderung.
wenn wir von sprache sprechen. sprechen wir? kauen silben, grunzen laute, blasen unsere wangen auf. formen mit lippen worte und sätze und manchmal auch sinn. doch haben nicht, so sehr wir uns bemühen, den zugang in jedes gehör und jedes gewissen.
Erste Versionen habe ich anlässlich des Films von András Bálint trotzdem hier online gestellt.
verbindungstexte
1. text: intro
2. text: tod und vergessen
3. text: sprache und geschrei
4. text: was noch alles möglich ist
5. text: fürbitten gerichtet an den leeren himmel
6. text: abschied
ein sarg wurde aus unserem haus getragen, und ich hab es gesehen. stand am fenster, nur kurz, hörte es rumpeln und pumpeln und auf ging die tür, eckig schoben sich männer hinaus in den hof, fluchend ein wenig ob der sperrigen last. sind gekommen am abend, hofften vielleicht, und das zu recht, wir säßen ruhig und abgelenkt in unseren waben. aber ich musste ausgerechnet, genau zu dieser zeit aus irgendeinem grund, den ich vergessen habe, am fenster stehen. wollte es schließen, nehme ich an. wollte den tag aussperren, ihn wie einen hofhund an die kette legen, du bleibst draußen bis zum guten morgen. wollte dem fenster die lider senken, damit alles seine ordnung hat.
da schnitt dieser anblick mir ins herz. ein bleigrauer sarg, schnell weggebracht. oh machte ich, die luft einziehend, komm, rief ich, jemand ist gestorben, und wir wissen nicht wer. so standen wir beide, unschlüssig, die aus der mitte gebrachte ruhe schwankte in uns, kreiselte ein wenig, senkte sich ab zu neuem grund.
das stiegenhaus aber, in das ich meine nase noch steckte aus bloßer neugier, das stiegenhaus erzählte mehr: ein fremder, süßlicher geruch zog sich über die treppen alle stockwerke hinauf und hinunter, die mischung aus einsamkeit, vergessen und tod. und ich? dachte ich daran, wer von den vielen menschen hier verlassen gestorben ist, wer niemandem fehlte? oder dachte ich daran, die tür abzudichten mit decken und tüchern, um dem gestank den eintritt zu verwehren?
hätte ich doch nicht hingesehen, hätte ich doch nicht hingesehen. wüsst‘ ich nichts vom sterben in unserem haus, könnte mir denken, irgendwer hat mist verschüttet auf den stufen und daher der üble geruch.
wäre tief drinnen in mir zwar eine ahnung gewesen, natürlich. etwas archaisches aus urzeiten eingespeichert und eingegraben ins hinterste eck der seele, wo dunkle und scharfzähnige monster sich verstecken, wo höhlen bemalt sind immer noch mit farben aus erde und lehm. aber. ein ahnen? ein altes wissen? das ist so hauchdünn wie … nichts. wie ein, was sag ich, eben ein hauch. der faden, an dem im altweibersommer spinnen durch die luft segeln, ist tausendmal dicker und stärker als das. was man vielleicht instinkt nennen würde. wäre ich soweit, es zu benennen. was ich vermisse.
und dann: lasst uns über den tod sprechen, diesen freundlichen feind, und das vergessen. schleichen vorbei an der gesamtheit der menschen, die wegsehen, was sich nicht fassen lässt.
und, diese menschen: sprechen vom gleichen, wenn sie den mund aufmachen? fällt nicht das eine so heraus und geht hinein ins andere als mutation, als unverstand? was nützt das bitten, was nützt das denken, ist nur ein weg zurück zu sich. zu mir. zum lauschen. zum einverstehen.
noch einmal, genauer und aus einer anderen sicht: in einer wohnung über uns, ganz über uns, gleich unterm dach. sitzt der tod. bittet das vergessen, bleib noch ein wenig, leiste mir gesellschaft.
er habe zeit, bevor er sich aufmachen müsse, den nächsten heimzusuchen.
so hocken sie zusammen, der tod und das vergessen, erzählen und berichten. man sehe sich zu selten, meint der eine, das andere nickt und achtet kaum auf jenes wesen, das vor ihnen am boden hingekrümmt das werk des tages ist, das werk der nacht.
die leichte seele löst ich schon. sucht herum und findet nicht den kummer, der anzutreten hat in dieser stunde und ist nicht hier. sucht nach vertrautem, gesichter, hände, nach gesten. schwebt unter der decke und blickt hinab auf das, was einmal war. muss einsam gehen von dieser welt, gleichmütig und leer.
denn, gibt es etwas wie eine seele, gesetzt dem fall. dann muss sie größer sein im sterben als im leben und vor allem gleich danach. dann breitet sie sich aus, ohne hautbegrenzung und knochengerüst. breitet sich und füllt und dehnt und strebt oder auch nicht. was wissen wir schon.
so oft, meint der tod, so oft stören mich trubel und klagende menschen bei meiner arbeit, die stehen mir im weg herum. lassen den, der soll, nicht ziehen, also ziehe ich an einem end und die am anderen, als gäbe es eine wahl. wie machst du das, fragt er das vergessen, dass man vergisst auf jene, die alleine sind in ihrer letzten stund.
so, sagt das vergessen: zuerst töte ich die erinnerung. zäh ist sie und hält sich fest mit tausend kleinen häckchen, ein widerwärtiges geschäft. ist sie erledigt, hocke ich mich hinein in eine brust. und mehr ist nicht dabei.
ach, spricht der tod, und wundert sich. in die brust, wie interessant, ich dacht‘, es wär das hirn.
und überhaupt: wenn wir von sprache sprechen. wenn wir uns denken, hier, mein satz, meine rede und mein idiom sind wie das grüne land, das sich verhügelt und verwirft in hohe berge, abkantet sich hinunterstürzt zu blauen klaren seen geplättet, tief und dunkel, kalt doch bald ans ufer steigt und sanft sich hinlegt in ein flaches feld um auszuruhn. schmeichelt und jagt und zuschlägt manches mal, auch das. doch: es ist die sprache, die wir kennen.
und kommt dann jene, die sich sandet und verdünt, die euphrat tigris babylon sich spricht und windet zweistromlandig. die regenwaldig zwischen der blätter ewig feuchtem hitzeschild und lichtgedampfe aufsteigt, verdunstet fällt und knackt und knattert, sobald sie auf die wüste trifft. die hinter anderen mündern anderes will und kehle zunge gaumensegel übers meer. und knopf und ch und grr und ach so fremd. so fremd.
wenn wir von sprache sprechen. sprechen wir? kauen silben, grunzen laute, blasen unsere wangen auf. formen mit lippen worte und sätze und bisweilen sinn. doch haben nicht, so sehr wir uns bemühen, den zugang in jedes gehör und jedes gewissen.
was nutzt folglich das schreien? nur eine lautgebärde ist es, eine verzerrung, eine abgrenzerei.
ein: bis hier und nicht weiter.
ein: der schmerz muss raus, der schmerz muss raus.
ein: schau her, sieh mich, hilf.
ein: schau her, sieh mich, fürchte dich.
ein: ich ertrag mein leben kaum.
ein: meine welt ist nicht für dich.
was wollen wir, was will man denn von uns? so hab’s ich gelernt, gehört, gesehen: putz dir die ohren! zieh dir dein hemd nicht aus, zieh das andere an! schweig! sprich, so endlich endlich sprich und schweig und sag doch nichts und alles jetzt! schleichst um die kirche, lässt sie im dorf und fährst im kreuz herum um sie. bist einer von uns und eine auch, aber nicht, aber nicht. so.
nämlich: putz dir die ohren, zieh dir doch dein hemd nicht aus! bleib im dirndl, bleib im haferlschuh, bleib in der uniform der blasmusik, bleib daheim, bleib stehen im sturm der empörung und lass dich – standfest! – nicht mitreißen von ideen. bleib hier.
hingehockt in die mitte des platzes, verankert mit tradition und werten, unseren nämlich. ’s wird schon halten, mein kind, s’wird schon halten.
putz dir die ohren, zieh dir doch dein hemd nicht aus. das hat dein vater schon getragen, das hat die mutter dir genäht, das hat deren vater schon getragen und deren mutter hat es genäht. beschwerst dich über brüchigkeit? verschlissen, farblos ist der alte stoff?
was trittst du unsern glauben, trägst schmutz in unser nest. die flicken stehn für ehre, die blasse farbe für heimat, und hängst du’s hoch an einen mast als fahne, dann hebt das hemd die hand dir ans herz und stolz in dein gemüt.
putz dir die ohren, bevor andere es tun. zieh dir doch dein hemd nicht aus, auch das lässt sich besorgen.
lieber gott, den es nicht gibt. beschütze vor dem einsamen tod, stell uns zur seite den, der die hand hält, die stirn küsst, der streichelt unsere wange und nimmt uns in den arm.
lieber gott, den es nicht gibt. schleif den dämonen die zähne, schneid ab ihre klauen und versiegle ihr gift, reiß aus ihre flügel und zungen, damit sie nicht mehr flüstern durchs ohr hinein ins kleine herz.
lieber gott, den es nicht gibt. nimm den menschen jene namen, die nicht die ihren sind, hinter denen sie geifern und spucken und tun, als wären sie von dir gesandt im inbegriff der wahrheit und sind nur lügner, lügner sind sie.
lieber gott, den es nicht gibt. gib her die kraft, mieten zu zahlen, schulden zu begleichen und nicht zu verzweifeln ob der zinsen-höhe und der gier. die unermesslich ist wie manna auch vom himmel fällt und jeden erschlägt, der sich nicht fügt in ihr system.
lieber gott, den es nicht gibt. lass die menschen vergessen, was es braucht, um häuser anzuzünden. lass verkümmern ihre seelenpein, ihr hassgehirn, ihr furchtsames ich. nimm ihnen den hohn und die hast und jede lust am lustgewinn auf kosten armer schweine.
lieber gott, den es nicht gibt: du machst mir angst. mit deinem lamm, hinweg sünden der welt, eingehen unter mein dach, gesund machen die seele, sprichst nur ein wort. du sprichst kein wort, es fehlt das dach und deine sünden sind keine welt.
lieber gott, den es nicht gibt. schreib groß ans firmament der inneren gestirne hinein in jedes atmende ding, dass es so ist: es gibt dich nicht. damit es amtlich sei, es wird sich niemand kümmern, und keiner wird vergeben, außer wir selbst, außer wir selbst.
lieber gott, den es nicht gibt. schlag dir das gold vom pelz, die pracht, den marmorierten stein. die staffage, die choräle, die säulenhallen, das falsche bild. und geh dorthin, wo du hingehörst, leb zwischen wurzeln, im feuer, in der luft und im lebendigen licht.
ich gehe jetzt. versöhne mich mit meinen monstern. lerne die sprache zu verstehen, die ich bin. hör auf zu glauben. wende mich zu. verbeuge mich vor denen, die schon gegangen sind. bemühe mich um die, die leben. und hebe meine augen auf, zu mir. von der mir hilfe kommt.