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Ö1 Radiokolleg: Kind im Wirtshaus

15/03/2021

Am 15. Februar 2021 brachte das Ö1-Radiokolleg unter dem Titel 9 x Österreich: Erkundungen in Oberösterreich Kolumnen von Schriftsteller/innen, jeweils selbst eingesprochen. Darunter zwei Texte von mir. Sieben Tage (bis 22. März, 9 Uhr) kann die Sendung nachgehört werden: Sieben Tage Ö1 – 9 x Österreich

Hier zum Nachlesen mein Text Nummer zwei. 

Meine Schwester Uschi (rechts) und ich

Kind im Wirtshaus

Stutzen rutschen, weil sie immer rutschen, zu gewissen Röcken und Dirndlkleidern trägt man aber Stutzen, also: hochziehen. Hinter der Schank oder in der Küche, bevor das Kind sich, mit Tellern beladen, durch die Pendeltür ins Gastzimmer schiebt. Und spürt, dass die Verfluchten schon wieder rutschen.

An der Haustür lehnt in aller Früh ein Sack, jede Woche von einem anderen Eferdinger Bäcker geliefert. Je nach Bäcker finden sich im Sack entweder dicke oder dünne Salzstangerl unter den Semmeln, wichtiger für das Kind sind die Mohn-Flesserl.

Gefüllte Brotkörbchen stehen im Gastzimmer auf der Ablage vor dem Kachelofen, neben einem Tablett mit Besteck. Das Kind ist stolz, das auch zu können, Messer und Gabel perfekt und gleichmäßig in weiße Servietten zu wickeln, das untere Ende eingeschlagen. Es gibt dünne weiße und dicke grüne Servietten.

Im Gastzimmer haben alle Tische Namen. Gard’robtisch, mittlerer Tisch, erster Tisch links, erster Tisch rechts, Ofentisch, Stammtisch, Schanktisch, letzter Tisch. Die Stüberltische haben keine Namen. Das Stüberl ist der Extraraum für Feiern aller Art, vom Geburtstag bis zur Zehrung und bummvoll an Superstresstagen wie Muttertag und Allerheiligen.

Die vier Tische im Gastgarten brauchen keinen Namen. Es ist aber gut zu wissen, wie die runden Tischtücher zu falten sind. Wenn’s zu regnen beginnt oder ein Sturm kommt, laufen alle, damit nichts nass wird. Einmal spannt der Wind einen Sonnenschirm auf und wirft ihn über’s Dach. Seither werden die Schirme im nichtaufgespannten Zustand mit einer grünen Schnur fixiert.

Der letzte Tisch im Gastzimmer ist der Familientisch, sofern nicht von Gästen beansprucht. Dort wird gegessen, selten gemeinsam, sondern dann, wenn’s passt. Auch gefrühstückt wird individuell, was dem Kind recht ist, es frühstückt sich quer durch alle vorhandenen Zeitungen. Dazu Kakao und ein Flesserl mit Butter.

An Geburtstagen warten auf dem Familientisch ein Kuchen, ein kleiner Blumenstock und so gut wie immer ein Buch.

Auch Hausaufgaben werden an diesem Tisch erledigt, lieber aber ohne Aufsicht im ersten Stock, neben der Bügelmaschine, in einem Raum, der Magazin heißt. Den aufzusperren man erst lernen muss, sonst dreht sich der Schlüssel ohne zu greifen im Schloss. Was blöd ist, wenn die Deckservietten ausgehen und man geschickt wird, welche zu holen.

Lange Zeit glaubt das Kind, dass im Magazin der Vater geboren wurde, aber das war im langen Zimmer, das tatsächlich ein langes Zimmer ist. Das Magazin hingegen ist kein solches mehr. Eher ist der alte Saal daneben zum Magazin geworden. Es haben auch andere Räume ihren Namen behalten, aber die Funktion verloren. So steht im Saustall statt einer Sau eine Mischmaschine. Dafür nach wie vor in der Waschküche eine Waschmaschine und in der Holzhütte ein Hackstock, in dem die Axt steckt.

Im Sommer werden große Holzzuber in den Hof gestellt und mit Wasser befüllt. Zwei Kinder passen in einen, wenn sie sich vertragen. Im Vorhaus ist es kühl, kühler ist es im Keller, mit seinem Steingewölbe und dem Erdboden. Muss das Kind in den Keller, um Wein zu holen, beeilt es sich, weil es sich gruselt.

Ansonsten neigt es zur Langsamkeit und wird sich später über Laufmaschen in Strumpfhosen ärgern und beim Helfen durch das Tragen von Jeans jugendlichen Revoluzzergeist zur Schau stellen.

Ein Problem wird daraus allerdings nie gemacht.

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