Über Gabriele Kögl und ihren Roman Gipskind
11/07/2022
Literatur findet Land heißt das feine Festival, das der Verein Tauriska jährlich in Neukirchen am Großvenediger veranstaltet, auch heuer wieder unter der künstlerischen Leitung Florian Gantners. Im letzten Jahr war ich als Lesende eingeladen. Und heuer (am 24. Juni 2022) war ich wieder dort, um meine Kollegin Gabriele Kögl und ihr Buch Gipskind vorzustellen. Eine Art Einführung war gewünscht, eine Art Laudatio ist es geworden. (Was sonst?)
Die Einführungslaudatio stelle ich hier zum Nachlesen online. Gleich Gipskind und alles andere von Gabriele zu lesen, zahlt sich freilich mehr aus.

Mit Clemens Berger und Gabriele Kögl im Kellerstüberl des Gasthofs Pferdestall, Neukirchen am Großvenediger (Bild: Verein Tauriska)
Gabriele Kögl & Gipskind
Wie schreibt man eine Einführung? Ich wünschte, ich könnte sie frei halten, um Ihnen und Euch ohne Zettel in der Hand, aus dem Gedächtnis mit vielleicht ein paar handschriftlich notierten Stichworten – die ich dann wahrscheinlich nicht entziffern würde können, weil so geht es mir ja sogar mit meinen Einkaufslisten – eloquent diese Autorin, mit der ich die Freude habe, befreundet zu sein, vorzustellen. Ich würde mich in meinen Schachtelsätzen verlieren und verwirren, vom Anfang nicht zum Ende finden und in der Mitte eines Absatzes anstranden, müsste zurückrudern und neu starten. Daher seid um unser aller Seelenheil willens froh, dass ich ablese.
Es ist erst ein paar Wochen her, dass Gabriele Kögl in einer launigen Runde von sich behauptete, sie hätte sich schon längst „entgeniert“. Ob tatsächlich dieses schöne Wort gefallen ist? Sie selbst sagt, sie erinnere sich nicht daran. Aber ich bin mir sicher, denn: Das Wort passt zu ihr. Wir wissen nicht mehr, worüber wir uns davor unterhalten haben, wofür sich also eine von uns — wir waren fünf Frauen in gelöster Stimmung — hätte genieren sollen. Das ist auch nicht wichtig, denn meistens zahlt sich das Genieren ohnehin nicht aus.
Schon gar nicht, und da sind wir uns alle einig, die wir Gabriele kennen und schätzen, braucht sich unsere Freundin für ihre Literatur zu schämen. Im Gegenteil. Ich möchte trotzdem noch kurz beim Genieren bleiben. Ich hab nachgeschlagen und gelernt, dass das Wort als solches dem französischen gêner entlehnt ist. Se gêner bedeutet „sich Zwang antun“.
Das tut Gabriele Kögl nicht. Sie tut sich keinen Zwang an. Sie ist ein Mensch, der einem mit großer Freiheit begegnet. So ewig lange kennen wir uns noch gar nicht, aber das denke ich bereits herausgefunden zu haben: Da haben wir eine wache, aufmerksame, kluge und im besten Sinn unabhängige Frau vor uns. Die zu Beginn der Pandemie versuchsweise statt mit Mundschutz mit dem Niqab in der hell-erleuchteten Straßenbahn durch die Wiener Abenddämmerung an mir Spaziergängerin vorbeifuhr, und das ist ein Bild, das ich nie vergessen werde. Von wegen genant.
Gabriele wird heute aus ihrem 2020 bei Picus erschienen Roman „Gipskind“ lesen, davor ist schon einiges anderes erschienen. Was heißt einiges. Vieles! Romane, Erzählungen, Hörspiele, Stücke und Rezensionen. Auf ihrer Webseite finden sich zusätzlich die Menüpunkte „Allerlei“ mit einer Übersicht über Beiträge zu eben allerlei Anthologien, „Interviews“ (nomen est omen) und „Überlebenschancen“, womit die Sammlung von Auszeichnungen und Stipendien gemeint ist. Und diese ist ebenso beeindruckend wie die Vielzahl der von Gabriele verfassten Werke unterschiedlicher Genres. So wurde ihr Hörspiel „Höllenkinder“ mit dem Hörspielpreis Prix Europa 2019 ausgezeichnet. Das beste Hörspiel Europas in jenem Jahr.
Die Themen, mit denen sich Gabriele Kögl in ihrer Literatur auseinandersetzt, sind, denke ich, keine einfachen. Ums Wohlfühlen wird es darin vordergründig nicht gehen, eher ums Hinschauen und ums Aushalten oder ums Nichtaushalten und was das mit einem oder mit einer macht. Eine engagierte Literatur, zu der mir spontan Attribute wie feministisch, sozial, anti-faschistisch einfallen, die sich aber, auch das kommt mir in den Sinn, den entsprechenden Schubladen trotzdem entziehen wird, weil es darin nicht um Schubladen geht und auch nicht um Attribute, nicht um Moden oder Trends. Sondern um das Interesse am Leben an sich und an seinen gesellschaftlichen Ausformungen und Zulosungen und Zwischenräumen, um das Hineingeworfen-Werden in eine Lebenswelt und das darin Zurechtkommen.
Gelacht werden darf trotzdem, und dass Gabriele selbst über sich und über das von ihr Geschriebene lachen kann, auch das hab ich erlebt und hat sie mir gleich ein Stück näher ans Herz gerückt.
Wie schreibt man eine Einführung? Kluges über die Autorin und deren Werk sollte darin vorkommen, die persönliche Note darf nicht fehlen, ein paar Bonmots wären nicht schlecht und schließlich noch Lobhudelei, aber nicht zu viel, damit es weder für die Einführende und schon gar nicht für die Vorzustellende selbst peinlich wird.
Ein bisschen Lobgehudel hält Gabriele sicher aus. Und wenn nicht, wird sie es mir im Lauf des Abends sagen. Die Kunst der direkten Rede im wahrsten Sinn des Wortes, nicht verletzend, dafür um Konstruktivität bemüht, auch das ist etwas Schätzenswertes und gehörte auf die rote Liste der aussterbenden Arten gesetzt.
Über die Kunst der Rezension haben wir uns im Freundes- und Freundinnenkreis – wie etwa in unserem Salon Lobmeyr rund um Ljuba Arnautović – oft unterhalten. Gespräche, die hilfreich sind, um Rezensionen zu verarbeiten, um zu überschwängliche in ihre eitlen Schranken zu verweisen, um feine und gute geschriebene zu feiern und um schlecht gemachte als solche zu identifizieren. Schlechte Buchbesprechungen tragen das Übel in sich selbst, sind lieblose Aneinanderreihungen von Plattitüden und Stehsätzen, Inhaltsangaben ohne Mehrwert für potenzielle Leserinnen und Leser (und somit auch Autorinnen und Autoren), dafür allzu oft ohne den dringenden Spoileralarm, der ihnen vorangestellt werden müsste.
Gabriele Kögl versteht sich auf das Geschäft der Buchbesprechung. Ich kenne niemanden, der so ausdauernd liest wie sie. Ausdauernd, weil ihre Neugierde auf das Geschriebene derart groß ist, dass sie sich auch durch Bücher arbeitet, die ich nach fünf, sagen wir zehn Seiten entnervt oder gelangweilt weggelegt hätte. Diese Beharrlichkeit in der Auseinandersetzung bedarf auch der Fähigkeit, das Erlesene zu rezipieren und im Fall der Verschriftlichung zu übersetzen in etwas … das im besten Sinn ohne die ewige Verschachtelung auskommt. Eine klare, deutliche Sprache, wie jene von Gabriele, ob sie von ihr nun eingesetzt wird, um über andere Bücher zu schreiben, oder um am eigenen Werk zu arbeiten.
Gleich bin ich fertig mit der Loberei, aber nur, weil ich sie den Profis überlasse und mich dabei schamlos der Rezensionen über Gabrieles Gipskind bediene, derer viele gute und gut geschriebene zu finden sind:
Karina Luger, Schreiblust Leselust, 8. November 2020:
„Die Autorin verurteilt niemanden. Es wird kein Bauern-Bashing betrieben und nicht die Enge eines Dorfes besungen, das in sich ganz verkommen ist und sich nach Außen abschottet. Gabriele Kögl schildert die Dinge wie sie sind. Drastisch, sprachlich markant, immer wieder mit ganz feiner Klinge pointiert. Hier wird soziale Realität der 1960er und 1970er Jahre in einen ganz feinen Roman gegossen.“
Anna Rottensteiner, Die Furche, November 2020:
„Die Sachlichkeit der Sprache tut gut, die erzählten Welten kommen einem vertraut nahe und sind dennoch Schattenwelten vergangener Zeiten. Hoffen wir, dass es so bleibt.“
Anton Thuswaldner, Salzburger Nachrichten, Oktober 2020:
„Gabriele Kögl ist wieder einmal die Spezialistin für die Härten der Existenz, bricht aber das Aufwachsen in einer rohen Gesellschaft über die Waffe des Humors.“
Sophie Weilandt, ORF/ZIB, Oktober 2020:
„Wie das Kind allen Widrigkeiten zum Trotz zu einer selbstbewussten jungen Frau heranwächst, beschreibt Gabriele Kögl in einer authentischen und reduzierten Sprache. ‚Gipskind‘ bündelt große Themen wie Scham, Verrat und Selbstbefreiung zu intensiver Literatur.“
Da wär sie wieder, die Scham. Die auch in Gipskind eine Rolle spielt. Das Kind, Andrea heißt es, wird in den 1960ern in der Steiermark geboren, in einer dörflichen, bäuerlichen und sehr katholischen Welt. Ein gescheites Mädchen, das früh reden kann, bei dem es aber an der körperlichen Feinabstimmung fehlt: Es kann nicht stehen. Und verbringt daher die Kindheit eingegipst: Ein Spreizgips, um die Kinderbeine in die richtige Stellung zu zwingen. Ein Problemkind also, dessen Leben arg eingeschränkt ist, daran kann auch die liebevolle und fürsorgliche und verständnisinnige Großmutter nicht viel ändern.
Grenzen sind da, um überschritten zu werden. Dass das auch mit X-Beinen gelingt, dass man sich nicht abfinden muss mit dem, was die gesellschaftliche Erwartung einem zugesteht, und dass es dazu die passende Musik gibt, davon erzählt dieser wundervolle Roman.
Vielleicht stimmt nicht ganz, was ich anfangs geschrieben habe: Die Autorin tut sich sehr wohl einen Zwang an, und zwar den, eine Ahnung von der Welt zu haben.
Und dafür danke ich ihr, auch für ihr geduldiges Zuhören, wenn mir die Schachtelsätze entgleisen. Dir, Florian, und dem Verein Tauriska danke ich für die Einladung, hier sein zu dürfen, und Ihnen und Euch wünsche ich eine schöne Lesung.