Es aschermittwocht, dass es knallt
28/02/2007
Buße unterm Herrgottswinkel
In der Stube unterm Herrgottswinkel. Mir gegenüber der KV, also der Kindesvater. Wir warten auf den MJ, den Minderjährigen, eigentlich das Mindestjährige, so klein ist er noch. Zu reden gibt es nicht viel, wir kennen uns schon seit Monaten, ich weiß, wie es ihm geht, dem KV. Im Moment nicht so gut. Er ist nervös und besorgt und aufgeregt, er hat auch schon geweint vor mir, aber nicht heute. Der Mann büßt für etwas, für das er nichts kann und das er nicht versteht, ich übrigens auch nicht so recht.
Die Tür öffnet sich endlich, der KV steht auf, die Mutter der KM, der Kindesmutter, schiebt den Kleinen in den Raum. Sie sagt: Geh zu dem da. Und deutet mit dem Kopf in die Richtung, ohne hinzusehen. Dann geht sie wieder. Während sich Vater und Sohn begrüßen und miteinander spielen, liebevoll und ernsthaft, bemühe ich mich, nicht da zu sein. Ich hab da nix verloren. Aber die KM sieht das anders, auch ihre Eltern sehen das anders, weil schon so viel passiert ist, man kann ihm nicht trauen, dem KV, deswegen darf er sein Kind nur sehen, wenn „das Amt“ dabei ist. Die „Fürsorge“.
Beim letzten Besuch zum Beispiel, da hat der Kleine von seinem Vater einen Spielzeugbagger bekommen, und, weil ein Bagger etwas zum Baggern braucht, ein paar Münzen aus seiner Börse genommen. Und dann haben sie Schillinge und Groschen umgeladen. Solange ist das schon her, und ich erinnere mich immer noch an die völlig aufgeregte Mutter: Er verzieht mein Kind. Wir bringen ihm Ordnung bei und Sparsamkeit, und er lässt ihn mit Geld spielen, absichtlich. (Ihr Vater hatte seinem Enkel kurz zuvor noch einen Hammer an der rechten Hand festgebunden, weil das Kind lieber mit der linken – also der „schlechten“ – Hand werkt.)
Und außerdem, jedes Mal, wenn er mit dem Kleinen draußen spielt, sei er völlig verdreckt, sie müsse ihn sofort baden und umziehen, und das Kind sei verstört, weine dauernd und dann kommt wieder der Ausschlag. Am besten wäre, meint die Mutter, der Vater würde ganz auf sein Besuchsrecht verzichten. Daran denke ich, während die zwei auf dem Boden sitzen, in diesem hypersauberen, lieblosen Witz von einer Bauernstube, und überlege mir, was man da tun kann. Nicht viel, eigentlich. Unterstützen, wo geht. Beim Durchhalten, Nachgeben und Zugeben. Der Vierjährige würde wohl sagen, dass das Ganze zum aus der Haut fahren ist, und weil er das so noch nicht sagen kann, macht er es einfach. Im Akt steht: Verdacht auf Neurodermitis.
Im Akt steht auch, wie verzweifelt der KV ist, dass er schon damit abgeschlossen hat, seinen Sohn zu sehen. Und dass das alles erst angefangen hat, als die Eltern ihrer Tochter den Bauernhof überschrieben haben, sie zurückbeorderten aus der „Stadt“, wo sie sich schon hochgearbeitet hatte zur Schichtleiterin in der Fabrik und ein Leben führte, das ihr Spaß machte. Aber was soll man tun, erzählte sie mir einmal ganz traurig, wenn die Pflicht ruft. Man kann die Eltern doch nicht im Stich lassen. Also ist sie zurück auf den Hof, der zwar idyllisch liegt, aber am Arsch der Welt. Und um richtig zu büßen, ließ sie den Mann zurück, den ungeliebten Freund der Tochter, „den aus der Stadt“. Das steht nicht im Akt, das denke ich mir jedes Mal, wenn ich hinfahre, zu einem Hausbesuch in der Einöde. Die KM kann auch nicht aus ihrer Haut, sie ist verzweifelt, kann sich nicht wehren, und das macht sie hart.
Das ist kein „Fall“, sondern ein ganzes Netzwerk von Fällen, in denen es um Kränkung geht, oder um Verzicht und Schuld, oder um Traditionen, denen sich die Eltern untergeordnet haben, und daher haben es die Kinder auch zu tun, basta. Sowie man sich am Aschermittwoch das Kreuz auf die Stirn malen lässt und gesenkten Hauptes bereut, ob es nun was zu bereuen gibt oder nicht. Und diese Fälle steuern aufeinander zu, explodieren dort, wo sie aufeinander treffen, und das Ergebnis landet auf deinem Schreibtisch und du selber als Kontrollorgan unterm Herrgottswinkel in einem unterkühlten Haus.
Das habe ich gelernt in meiner Zeit als Sozialarbeiterin: Man hat es immer und ständig mit Buße zu tun. Ob selbst auferlegt oder fremdbestimmt: Es aschermittwocht, dass es knallt.