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Bilderwechsel

31/12/2019

Notizen in fünf Teilen, entstanden anlässlich der Fotoklub K5-Vernissage «Verborgenes Eferding» im Eferdinger Gastzimmer am 19. Oktober 2019.

Geschrieben in den Tagen davor, während der kurzen Reise von Wien nach Eferding über Bukarest, Rumänien, und Veliko Tarnovo, Bulgarie­n, wenige Tage nach einem Vortrag Bazon Brocks, Professor für Ästhetik und Kulturvermittlung, Künstler und Kunsttheoretiker, geb. 1936 in Pommern.

1. Mit der S7 von Wien Praterstern zum Flughafen Wien

Bazon Brock sagt, die Endlichkeit begründet das Unendliche. So einen Satz in den Kopf packen. Zum Flughafen fahren. Den Rollkoffer die Rollkoffergeräusche machen lassen. Jede erhabene Bodenmarkierung klingt, als würde das Ding scheppernd lachen.

Während der Fahrt, die Häuserreihen lichten sich schon, kommt mir die Frage in den Sinn: Was anders ist am Industriegrau hier und dort. Tippe und tippe und schau über den Brillenrand. Sieht man nicht viel, ist Nebel. Schält sich ein wenig Welt heraus. Ach, Blödsinn. Welt schält sich nirgends heraus, woraus heraus sollte sich Welt schälen? Aus sich selbst? Wenn, dann tut sie das nicht des Nebels wegen. Sondern weil sie sich ständig und ohne Pause aus der Nichtwelt herausschälen muss. (Ich könnte weiterfragen: Wer schält? Kann nur schälen, wer oder was Bewusstsein hat? Ist es zu früh am Tag für die inwendige moral-ästhetische Diskussion? Oder zu spät?)

Draußen grad so: das Industriegrau, der Industrie-Büro-Ofenbau, die kachelige Form, Anordnung der Fenster. Wiederholt sich und sitzt hier trotzdem anders im Boden.

Übrigens: Dreckige Spiegel und Zugfenster sind das letzte. Kommen noch vor (ein Widerspruch, weil, meinte ich nicht eben, sie wären das letzte?). Psst. Kommen noch vor dem Hunger der Welt, Ebola und in Plastik-Verschlingung gefangene Meerestiere. Schildkröten etwa. Dreckige Zug- oder Busfenster verhindern den reinen Blick auf den möglichen Sonnenaufgang.

Konfrontiert mit anderen globalen Problemen verliert der Sonnenaufgang (und damit der Dreck am Fenster) ohnehin seine Bedeutung. Bedeutet im Umkehrschluss: Sofern ich nicht gerade mit anderen globalen Problemen konfrontiert bin, könnte ich den Sonnenaufgang betrachten, dreckfilterlos. (Eine weiße Scheibe hinter der Nebelwand.)

Nebenbei, zu den Gedanken, die ich vor dem Antritt einer Flugreise nicht brauche, gehört dieser: Jeder Sonnenaufgang ist ein Weltuntergang.

2. Im Flugzeug von Wien nach Bukarest

Unter uns zeigt sich bald (der Nebel ist über Wien geblieben) die Donau, lose mit Schiffen gespickt. Träge Schiffe, denke ich. Flussschiffe sind träge und alles Träge ist ein Irrtum. Auch der Erdball gibt sich langsam, streicht und gleitet den messerscharfen Tag-Nacht-Schatten entlang.

Die These: Es gibt kein Schmiegen in die Zeit. Es gibt, vom Menschlichen aus betrachtet, auch keine heile Welt außer im äußerst Kleinen. Da kann man dem Grün noch so schöne Streifen einrasieren. Hellgrün, dunkelgrün. Man muss sich schon sehr nah ans Detail heran zoomen und so tief in der Betrachtung dieses Details versinken, dass sich das Rundherum, das Störgeräusch, abschaltet und ausblendet. Dass sich das Glück des Schönen einbrennt in den Moment und der Moment (er vergeht, verweil doch. Psst!). Und der Moment heil bleibt als Ganzes für einen Bruchteil.

Meine Vermutung, aufgestellt in etwas mehr als zehntausend Kilometern Flughöhe, ist, dass das Rasen des Erdballs auf seiner Umlaufbahn die Menschen rasend macht, das bewusste Wissen darüber sich den anderen Tieren aber entzieht, ebenso den Pflanzen und Steinen, weswegen sie (die anderen Tiere, die Pflanzen, die Steine) wider besseren Wissens Ruhe in sich tragen. Und wir in die Natur gehen – der nächste Widerspruch: als ob wir aus uns herausgehen könnten, aus unserer Natur – um dort diese Ruhe zu finden. Sie zu atmen. Ohm.

Ein Flugbegleiter und zwei Flugbegleiterinnen teilen aus. Salzig oder süß? Kaffee, Tee, darf’s ein Wasser sein?

Unter uns haben sich die Donauwindungen in Felder in Hügel ins Bergige verschoben.

Kleiner Zwischensatz: Es muss nicht alles Poetisch sein, nein nein. Es hilft halt, rundet die Kanten ab, eine Decke über Scherben. Oder ein Brett (wie aus einem Tor genommen). Zum Drübersteigen, über den Morast.

3. Vom Flughafen Bukarest über die Grenzstadt Ruse nach Veliko Tarnovo, Bulgarien

Pawel oder ich oder wir beide waren unaufmerksam. Pawel sollte mich in der Ankunftshalle des Bukarester Flughafens erwarten. Ich kenne den Fahrer der Elias-Canetti-Gesellschaft noch nicht, auf deren Einladung ich diese Reise mache und hier nun Bericht erstatte über Eferdinger Spurenelemente, die sich in mir gehalten haben, die da sind, die da sein werden bis, mach dir nichts vor, Frau, ewig.

Sporen wie von Pilzen, eingepflanzt in Kindheit und Jugend, im Spazierenführen des eigenen Babys durch Unterschaden, Wörth, Wagrain, den Mittergraben. Jedes Hauseck, jeder Mauerriss, jeder Krautgeruch am Feld-Wiesen-Straßenrand, dem Kirchturm sich annähernd aus allen Richtungen und immer das Gefühl, er schaut zu uns herüber mit einem seiner vier Augen. Ein Bild oder Duftstoff. Hinausgetragen ins Fremde, um sich dort zu spiegeln und das Fremde heimlich heimatlich zu machen, erträglich gar? Klingt so falsch nicht.

Puh. Derart unkonzentriert ist es kein Wunder, dass zwei, die sich noch nie gesehen haben, nicht finden. Ich mit dem scheppernd lachenden Rollkoffer hinaus in die Manege der Wartenden. Werde angesehen – wie üblich auf Flughäfen – und eingeordnet sofort. In: Nein. Vielleicht. Sicher nicht. Oder doch?

Wäre ich lustig, würde ich sagen: Schon sehr lange wurde ich nicht mehr von derart vielen Männern mit so offenem Begehren gemustert. Sei doch die meine, sagen die Blicke. (Alle halten Zettel oder Tablets vor sich, wie die Zeugen Jehovas ihre Verkündung. Namen darauf. Deutlich geschrieben oder gedruckt oder hastig.) Ich schreite die Reihen ab, scanne Zettel und Tablets in allen Größen. Ein Mal, zwei Mal.

Augenbrauen heben sich: Sind Sie’s? Ich schüttle unmerklich den Kopf, die Mikrogeste genügt. Nein. Sogar Männernamen werden auf mich projiziert (drei Mal geh ich, vier Mal), mich finde ich nicht. Keine Karin Peschka. Weder in den vorderen Reihen, noch in den hinteren, wo etwas lässiger gewartet wird. Wo schon einiges an Hoffnung aufgegeben wurde.

Erst, als mir die Gesichter und Gestalten der wartenden Männer so vertraut sind, dass ich sie im Vorbeigehen grüßen mag, ich die Namen jener Unbekannten, auf die hier gewartet wird, leise vor mich hin singe, klingelt mein Telefon, atme ich ein Stück Buttercroissant ein (ich bin hungrig) und stehe vor meinem Namen. Und vor Pawel, dem ich hustend die Hand schüttle.

Aber jetzt gehts los. Nimmt das Ganze flott Fahrt auf. Bremst sich manchmal – quer durch Bukarest – vor Schutzwegen und Ampeln und Fahrbahnschäden und Schwellen ein. Die Luft ist warm, die Fenster sind sauber und können ganz geöffnet werden bei Rot.

Sehe ich Stadt und Land und Häuserdächer, Eingefallenes, Aufgebautes, sehe Zäune und Felder und alles Land und jede Stadt und alles Dorf und jedes Ding und streunende Hunde und Glaspaläste, und IKEA und ein Pferd, das einen Wagen zieht, und die Wirtschaft, die die Peitsche schwingt. Kauf, kauf.

Das Rumänische, das Bulgarische. Gleichen sich die Städte sehr, gleicht sich auch das Land und die Felder, da müssen wir uns nichts vormachen. Findet sich am Straßenrand Plastik auch bei uns. Das helle, wehende. Weniger hier, mehr dort, wer ist der Richter. (Die Richterin sitzt in meinem Kopf und vergleicht.) In Bukarest winden sich Efeu und wilder Wein an Kabeln entlang, wehen über die Straße. Daheim weht es vom Hausdach, vergrünt es das Fenster, gibt es ein Schloss ohne Märchen.

In Ruse (der Grenzstadt, ein Unbekannt wie Pawel, der ausgezeichnet fährt nebenbei) fließt die Donau mächtiger und breiter aber eben genauso wie hier mit Au und Kieselstrand und am Ufer (an dem einen) neigen sich die Werftkräne in ungemeiner Schönheit, verschimmern im Licht.

4. Veliko Tarnovo, vom Hotel zur Universität und wieder zurück

Gefeiert wird das 25-Jahr-Jubiläum der Österreich Bibliothek in der Universitaet Hll. Kyrill und Method. Neben Reden und Vorträgen und Lesungen wird eine barock-goldene Torte serviert, mit roter Österreichfahne, und bald ist die rechte Hälfte aufgefressen. Haps!

Zuvor sind wir zu Fuß hingegangen, danach sind wir zu Fuß zurückgegangen, die Stadt ist wunderhübsch terrassenhaft. Im ganz alten Teil über Steige und Treppen an bunten Türen vorbei, an achtlos zusammengeräumten Eingängen, Höfen, weil: Hier wird gelebt. Viele Katzen und ein Tor, das mich fängt und ins Vergangene wirft.

Ein Bub in Lederhosen, vom Spielen abgehalten und vor ein ähnliches Tor gestellt vom Fotografen. (Der Vater. Noch heile Welt, noch hat der Krieg nicht begonnen. Große Augen, großer Blick. Runder Kopf, sommerkurze Haare.) Das Tor erinnert mich, denn es hat, wie jenes in schwarz/weiß, breite Bretter und eine gewisse Höhe. Die alte Fotografie, verborgen in der Mappe in der Lade im Schreibtisch im Zimmer: Das Kind in Lederhosen, nackte Knie, erdig und aufgekratzt vom Gräbengraben und Mauerklettern. Vier, höchstens fünf Jahre? Nicht mehr. Zähl noch dreißig dazu, dann hat das Kind einen eigenen Sohn mit rundem Kopf und großen Augen, zwei Töchter, ein Wirtshaus, eine Frau natürlich, die – hier, in diesem Reflex – noch nicht geboren ist. (Die Mutter. Andere Welt und verpflanzt in die gleiche.)

Ins Gleiche. Ins Selbe? Nie.

Die eigene Identität hängt mit der Würdigung des anderen zusammen. Sagte Bazon Brock und schaute ins Publikum.

5. Zurück, zurück, zurück

Von oben betrachtet, die landwirtschaftliche Musterung, beim Rückflug nach Wien: Es gibt keinen Weg, die Welt zu beherrschen. Jede Ordnung ist nur mit Anstrengung aufrechtzuerhalten, denn anstrengen sollst Du Dich, im Schweiße deines, wir wissen es. Alle wissen es, braucht’s keiner mehr zu sagen. Hören wir auf, uns anzustrengen, beginnt die Verdrängung. Schon als Kind erkannt, die Ameisenstraße im Hof, ein Hindernis hineingelegt, Umfahrungen, Umwege, aber letztlich war man nur eine kurze Irritation.

Bahnt sich schon seinen Weg, auch das Grüne, kann nicht anders. Wir können auch nicht anders, als zu zähmen und einzuteilen. Von oben, von oben, immer noch oben, warum nicht oben bleiben? Von oben sind es Flicken, fleckige Flicken, flurlos aneinander gestückelt.

Unten heißt es aber dann doch, und auch das wissen wir, ist es mehr Befehl als Bitte: Hier wächst der Mais, da die Gerste, dort die Gurke. Im nächsten Jahr: Wechsel. Fruchtfolge und die Frucht folgt dem Befehl und jawohl! (Und trägt in sich die Gelassenheit, das ohne jeden Befehl und jede Ordnung von selbst zu tun, überall. Was braucht’s ein Feld. Ein Spalt im Boden an der Mauer genügt. Etwas Erde in der Regenrinne.)

Rostet auch Metall in allen Ländern in den gleichen Farben und frißt sich auf dabei aufs Allerfeinste.

Man könnte, vielleicht sollte ich das der Eferdinger Bürgerschaft vorschlagen, die halbabgerissene Ruine des alten Stadtsaals im Stadtzentrum sich selbst überlassen, sich und der Natur, als Würdigung des stetigen und beständigen und letztlich beruhigenden Verfalls der Welt. Eine Inschrift: Der Wahrheit der Welt gewidmet.

Bazon Brock sagt: Es gibt keine Probleme. Außer die unlösbaren. Mit denen muss man sich abfinden. Alles, was lösbar ist, ist kein Problem.

Alles, was lösbar wäre und nicht gelöst wird, ist ein Spiel. Sagt nicht Bazon Brock, sondern ich, und schließe mit dem Bild einer Brücke. Weiß der Himmel, warum.

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