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Weihnachten mit Tempo 80

22/12/2005

Slow down in the night of the living dead

Johnnys Untertitel zum diesjährigen Weihnachtsfest lautet: „Die Nacht der lebenden Toten.“ Wer Radio hört, weiß warum: Quer durch (fast) alle Radiosender durften in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember sämtliche Radioleichen fröhliche Urstände feiern. Wir hatten Stunden, um uns davon zu überzeugen. Wir fuhren nämlich von unserem Heimatstädtchen zurück in das zirka 200 Kilometer entfernte Wien, mitten in der Nacht. Mit Tempo 80. Maximal. Die Autobahn war fast leer, mein Sohn saß neben mir, im Fond döste mein Freund, der Kurde, die Heizung bullerte und aus dem Radio hämmerten Songs, denen die Zähne bereits ausgefallen waren, mit Greisenstöcken gegen meine Nerven. Am Anfang war’s ja noch lustig. Johnny und ich sangen mit, was das Zeug hielt. Man kennt die Sachen ja von den letzten Jahren.

Aber dann schlief der Knabe in den Beifahrersitz gekuschelt ein. Der Kurde ließ auch nichts mehr von sich hören. Es war ein ziemlich anstrengender Tag gewesen.

Gegen Mittag hatte ich das Auto vom Autoverleih geholt. Unverschämt teuer, aber die einzige Möglichkeit, Weihnachten richtig zu feiern – mit Familie, echten Bratwürsteln und solchen aus „Tufo“ (Copyright mein Vater, dafür hat er die vegetarischen Dinger diesmal nicht verbrannt …), dem Gelächter beim Versuch, „Stille Nacht“ zu singen und dem pulloverwarmen Gewusel um den Christbaum.

Da Johnny arbeiten musste, konnten wir aber erst am frühen Nachmittag von Wien aus gen Westen ziehen. Endlich zu Hause, begrüßte mich mein Vater mit einem Lächeln und den Worten: „Du hast einen Platten.“ Ah ja. Der Herr vom ÖAMTC war auch der Ansicht und montierte den Ersatzreifen … soll heißen: Den Notreifen. Ich versuchte ja, es zu ignorieren. War schlicht unmöglich. Das große, gelbe Pickerl auf dem Notreifen schrie: Nicht schneller als 80 km/h!

Mit 80 km/h mitten in der Nacht zurück nach Wien? Sollte das mein Weihnachten sein? Mein geliebtes Weihnachten, dem ich ohne jedwede Ironie gegenüber stehe? Jawohl, es sollte – denn mein Junior musste sich für das Gastgewerbe entscheiden und am nächsten Morgen um sechs wieder wie aus dem Ei gepellt fremde Buffets aufbauen.

Was blieb mir anderes übrig. Ich wünschte dem ÖAMTC-Typen ein frohes Fest und machte mich ans Räucherwerk: Als meine Oma noch lebte, sind wir zwei in den Raunächten durch unser uraltes, riesiges Haus gewandert, vom Keller bis zum Dachboden, vom Vordereingang durch den Hof bis ans Ende des Gartens, in dicke Weihrauchschwaden gehüllt. Wegen der wilden Jagd, die in solchen Nächten über das Land zieht.

Meine Oma starb, als ich 14 war. Und seither gehe ich mit dem alten, mit glühenden Kohlen gefüllten Bügeleisen in der ersten der drei Raunächte allein durchs Haus und verbrauche dabei Unmengen edles Räucherharz. Im Keller stehe ich besonders lang, und dann nehmen wir beide, also das alte Haus und ich, einen tiefen Lungenzug Weihrauch. So war es auch diesmal.

Und später, nach den Bratwürsteln, Gelächter und Gewusel, beladen mit selbst gebastelten (oder angesetzten) Geschenken (danke für den Schnaps!), einer Kiste Kekse und immer noch nach Räucherkammer riechend, machten wir uns auf den Heimweg.

Mit 80 km/h. Auf der ziemlich leeren Autobahn. Die Zombielieder mussten in der Höhe von St. Valentin einer CD weichen. Johnny schlief, der Kurde sann im Fond seinen Gedanken nach, es war warm, die CD auch im dritten Durchlauf wunderschön, ich war so ruhig wie seit Wochen nicht mehr – und spätestens in St. Pölten wünschte ich mir noch 100 Kilometer mehr auf dieser Fahrt durch die Nacht der lebenden Toten.

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