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Gebt mir Gummistiefel!

15/10/2006

Gebt mir ein Feld! Und Hosen.

Gestern, früher Morgen. Ich sitze in der Küche, trinke Muckefuck und schaufle Zimtpolenta. Im Pyjama, ziemlich vermuffelt und mit Tonnen Schlaf in den Augen. Plötzlich steht ein gepflegter Herr vor mir. Schwarzer Anzug, grünes Hemd. Perfekte Krawatte, perfekt geknotet. Der Herr mustert mich streng und sagt: Mama, geh jetzt endlich duschen. Du kommst zu spät. Also, äh, eigentlich ist das doch meine Rolle, oder?

Ich bin doch diejenige, die sich morgens von Weckergeschwadern wach brüllen lässt, damit sie lauschen kann, ob sich in der Nachbarhöhle was regt, und, falls ihr nur Stille entgegen gähnt, an Türen pocht, erst sanft, dann lauter, dann genervt. Ich bin diejenige, die über die Zeit herrscht und Weisungen erteilt, von wegen: Geh jetzt endlich duschen! Jetzt! Steh auf! Es ist … egal, immer irgendwie knapp.

Seine Rolle ist die des Gegenpols: Bleibt liegen, überhört Wecker, kriecht zum Bad, wo er weiterschläft. Er ist derjenige mit der einen Standardantwort für 217 verschiedene Anfragen: Ja, eh gleich.

Da steht also mein Johnny, schickt mich duschen und was sage ich? Das Nahe liegende: Ja, eh gleich. Und während ich das „gleich“ ebenso in die Länge dehne wie er es üblicherweise macht, ist mein Sohn schon auf dem Weg zur Arbeit.

Die Tür knallt ins Schloss, und ich erinnere mich an einen Winzig-Johnny im kleinkarierten Babyanzug, so dick wattiert, dass er zu unserem Gaudium wie ein Schwarz-Weiß gemusterter Seestern liegen blieb, wo auch immer man ihn platzierte. Dann, später, in der großelterlichen Gasthausküche, sicher zwischen Fleischwolf und Kühlschrankwand in der Babywippe verstaut, mit leuchtendrotem Strickpulli, grünen Hosen und braunen Kulleraugen.

Oder bei der Hochzeit meiner Schwester: Im Partnerlook mit seinem gleich alten Cousin, Lederhosen, schickes Trachtenjäckchen und Hut. Ich weiß nicht mehr, wie alt er da war. Drei? Vier?

Als ich vier Jahre alt war, war ich Kapitän. Dickbäuchig, mit Schnurrbart, Kapitänsmütze und Strickjacke. Gerochen habe ich allerdings nicht etwa nach Pfeifentabak, Meer und Freiheit. Sondern nach Essen. Weil die Strickjacke in einem Schrank in der Gasthausküche wohnte. Und der Geruch kam auf dem Kindergartenfaschingsfest gar nicht gut an.

Meine ganze Kindheit roch nach Essen. Wir Kinder halfen im Gasthaus, und zwar in Röcken. Mit kleinen, weißen Schürzchen. Zur Firmung bekamen meine Schwester und ich selbst genähte, bodenlange Dirndlkleider. Und Faltenröcke für den Firmausflug. Inklusive Bluse und Trachtenbeutel. Großartig. Die Dirndl wurden dann für das Gasthaus auf praktische Knielänge gestutzt. Die Strümpfe rutschten mir ständig runter. Und wenn ich einen normalen Rock zum „Mittagsg’schäft“ anziehen wollte, hatte ich sicher keine einzige schwarze Feinstrumpfhose ohne Laufmasche mehr, dafür tausend mit.

Meine jugendliche Auflehnung gegen elterliche Autorität bestand darin, manchmal in Hosen zu servieren. In engen Hosen. (Aber nur an Werktagen.) Unbefangen Röcke zu tragen ist mir (und meiner Schwester) bis heute nicht möglich. Gebt mir Gummistiefel, gebt mir ein Feld! Ich ackere es um mit einem lahmen Ochsen und einem kaputten Pflug – solange es dabei normal ist, Hosen zu tragen.

Ich trinke meinen Muckefuck aus und frage mich, ob sich Johnny per Anzug und Krawatte auflehnt. Angesichts einer Mutter, die im Wechsel Jeans mit T-Shirt und T-Shirt mit Jeans kombiniert, wäre das ja kein Wunder. Aber nein. Im Bad stolpere ich über seine halbzerfetzten Alltagshosen.

Wahrscheinlich macht er das viel subtiler. Indem er langsam den Spieß umdreht. Und mich zum Beispiel duschen schickt. Bald wirft er mich aus dem Bett. Mitten in der Nacht.

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