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Nichts wird gut

20/05/2007

Wien ist in der Nacht so gelb

Wollten Sie schon einmal ein Boot sein? Nicht im Boot sein, sondern das Ding selbst, wie es da auf einem runden, nordischen See schaukelt, von Wald umgeben, drüber ein Himmel und das Wasser ist graublau, gekräuselt und sicher ziemlich kalt. Jetzt ließe sich gemeinsam weiter spekulieren, welches Boot man vor dem geistigen Auge hat bei Betrachtung dieser Szene, und daraus würde man ein luftiges Textlein basteln, das Sie nicht kratzt und mich nicht kratzt und generell niemanden stört.

Dann würden Sie „bitte zahlen“ rufen, dem Ober ein Trinkgeld und den Mist am Tisch zurücklassen, darunter ein Kugerl aus Schokoladenpapier, weil, so ein Stück Text ist im Grunde auch nicht mehr als das Stück Süßzeug, das man zur Melange bekommt und isst oder liegen lässt, je nachdem. Aber darauf wollte ich nicht hinaus, also zurück zum Boot.

Es ist einfach ein kleines, hölzernes Ruderboot auf einem Bild, das ich vor ein paar Tagen sah und mir dabei dachte: Das wär ich gern.

Gestern waren wir lang unterwegs, feierten, aßen Blinis und steckten die Köpfe zusammen, um uns zu verstehen in dem Lärm. Ich wollte früher gehen, weil noch nichts geschrieben für heute und eh schon müd‘ und so. Aber dann wurde es doch ziemlich spät. Wir rannten wie die Hasen, um die letzte Straßenbahn zu erwischen, saßen im 5er-Wagen, rangen nach Luft und unterhielten uns noch ein wenig, bis der Freund ausstieg und ich, leer geredet, durchs Fenster starrte. Auf die Stadt. Auf die Leute, die noch unterwegs waren. Wien ist in der Nacht so gelb.

Kurz vor der Endstation war dann dieses Plakat, halb zerfetzt und so überklebt, dass nur ein Satz zu lesen war: Nichts wird gut. Und schon war wieder dieses Bild da, vom Boot und dem See, weil: Nichts wird gut? Das widerspricht dem, was ein anderer Freund immer sagt, wenn ich ihn darum bitte, nämlich: Alles wird gut. Und wenn er es sagt, dann glaubt man, dass es stimmt. Und ist getröstet, ein wenig. Obwohl man weiß, dass das gar nicht geht, nie wird alles ganz gut sein. Jetzt muss ich doch noch ein wenig zurück in der Zeit und Sie müssen mit, sofern Sie weiterlesen.

Falls ja, sitzen Sie mit mir in der gelben Wartezone der Abteilung 6F im Wiener AKH und warten. Sie sind seit dem frühen Vormittag im AKH und haben bereits über eine Stunde in der blauen Wartezone der Abteilung 7I verbracht. Keine Sorge, es ist nichts Akutes, nur ein Kontrolltermin anlässlich der alten Baustellen im Körper, zehn Minuten Gespräch mit dem Arzt, der die Blutwerte studiert und dann beschließt: Eh alles im grünen Bereich. Aber dieses und jenes sollten wir uns doch noch näher anschauen, und deswegen sitzen wir jetzt in der gelben Wartezone auf einem grauen Plastiksitz und warten.

Und in uns sitzt auch etwas und nagt an den Eingeweiden, aber daran denken wir lieber nicht, also betrachten wir die Wände, wo Tierbilder kleben und ich frage Sie: Warum kleben in den Wartezonen (in Arztpraxen, Krankenhäusern, wo auch immer) billige Bilder an der Wand, die aus Kinderzeitschriften stammen, ein Eisbär, Pinguine, ein winziges Affengesicht zwischen den Blättern eines riesigen Farns, Pferde und Seerosen und Kolibris, mit Tixo auf Wände geklebt, die immer beige sind und der Boden ist immer rotes Linoleum. Wer klebt diese Bilder an die Wand, und was sollen sie da, außer das hässliche Beige noch hässlicher machen? Trösten?

Wie denn? Mit solchen Bildern verzierte ich als kleines Mädchen stolz mein Zimmer, meinen Kasten, und hier, in der gelben Wartezone der Abteilung 6F, ist die Erinnerung an meine Kindheit das letzte, was ich will, und das nicht, weil sie nicht gut gewesen wäre, sondern weil mit der Erinnerung noch etwas anderes hochkommt, Hilflosigkeit vielleicht, und Einsamkeit und Trauer, die Hilflosigkeit eines kleinen Mädchens eben, die kann ich hier absolut nicht brauchen. Ich bin wütend und traurig. Weil es ist, wie es ist, weil mir das alles so vertraut ist (die Eisbären und Pinguine, die Farben, die kalten Plastiksitze neben lauten Colaautomaten), so vertraut, dass ich heulen möchte und die Bilder von der Wand fetzen, was ich nicht mache. Natürlich nicht.

Am Abend dann lässt alles wieder nach, die Wut und das Traurigsein und ich seh dieses Bild von dem Ruderboot auf dem leeren See und möchte das gern sein, dieses Boot. Weil, nichts wird je ganz gut, aber das ist schon ok so, sofern wir nicht immer darauf gestoßen werden, wie schwach wir eigentlich sind. Und wie viel Angst wir haben.

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