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Messer und schwarzer Stein

30/12/2007

Wir nähen ihre Münder zu

Es lassen sich ja doch keine Ecken und Kanten in die Luft schneiden, keine Löcher zum zeitweisen Verschwinden. Aber. Einen schwarzen Stein hab ich in der Tasche und ein Messer und damit zieh ich durch die Straßen, zu Dir, mein Freund, und nehme Dich bei der Hand.

Dezember ist, die Leute heulen sich was vor, packen vor ihre Masken noch Lametta, packen noch eins drauf und spielen Glück, grinsende Monster, es ist zum Verrücktwerden. Aber wir, wir wandern durch die Nächte und nähen mit feinen Nadeln verlogene Münder zu, verknoten die Enden der Fäden. Belangloses Geschwätz. Wir schlagen mit winzigen Hämmern auf rumselige Dumpfheit, die Becher zerklirren zwischen Tannengrün im Dreck, so ist das.

Wovon soll man denn schreiben in so einer Zeit? Vom Glück? Wenige Wochen geballter Sehnsucht und Einsamkeit, schlecht verborgen hinter falscher Vorfreude, wen soll man anlügen? Wir warten auf Entscheidungen, oder darauf, das etwas vergeht, vorüberzieht und reden darüber nur flüsternd und angedeutet. Weil wir Angst haben vor den Fragen, vor der Fehlbarkeit, vor Schwäche und dem Erklären müssen. Na und?

Mein Freund. Ich nehm Dich bei der Hand und zieh Dich auf die Straße. Löcher in die Realität kann ich keine schneiden, aber, wer immer Du bist: Atmen können wir draußen, rennen können wir und alle Leute anrempeln und umstoßen, die uns im Weg stehen. Wir stehlen ihnen die Hauben von den Köpfen, werfen ihre Schals auf die Bäume. Sie werden uns anschreien und nachlaufen, aber nicht weit. Glaub mir, sie laufen nie weit, sie geben auf, aber wir nicht. Wir laufen weiter, raus aus der Stadt. Die Häuser werden niedriger, die Luft klarer, feiner Regen sticht sich tausendfach in unsere Gesichter, in die nackten Arme, weil wir die Jacken ausgezogen haben und die Pullover und einfach weiter rennen, bis nichts mehr geht.

Bis sich die Ungewissheit aus uns herausgeschält hat, das ganze unnütze Sehnen herausgerissen ist, bis wir all die hinter uns gelassen haben, die Vernunft einfordern und Verständnis und elende Geduld, bis ihre Vorwürfe, ihre Forderungen nicht mehr zu hören sind. Bis ich die Hand auf Deinen Arm legen kann, Du ruhiger wirst und still und nichts ist in dem Moment, außer Leere, gar nichts.

Natürlich macht so ein Text keinen Sinn, nur für die, die sich darin wiederfinden und für die ist er geschrieben. Dann wird er zu einer Höhle, in der man sich zusammenrollen kann zu einer wolligen Kugel. Und weil der Boden ein wenig abfällt zum hintersten Eck, und weil wir nicht die einzigen sind, die grad eine dunkle Höhle zum Zusammenrollen brauchen, findet sich dort bald ein kleiner Haufen wolliger, weicher Kugeln, alle in sich gekehrt und aneinander geschmiegt, Berührung.

Letztlich, einsam bleiben wir ja trotzdem irgendwo. Da kann man soviel Paulo Coelho lesen, wie man erträgt, soviel Xavier Naidoo hören, bis einem das Kotzen kommt. Es wird Euch nicht retten. Nur, wenn man das weiß, dass die Einsamkeit so natürlich ist wie dieser Text unnütz und verschroben, dass sie eine ganz logische Sache ist und völlig in Ordnung, dann ist alles nicht mehr so schlimm.

Dann regt man sich in seiner warmen Kugel, spürt nach draußen, rührt sich ein bisschen, greift nach dem Messer, dem schwarzen Stein und nach einer Hand, mit der man durch die Straßen laufen kann, von Zeit zu Zeit, lebendig und stark. Kalt soll es sein, der Sturm schlägt die Lichterketten von den Häusern, verschlägt uns die Sprache, die Leute drängen sich in die Hauseingänge und wollen uns für verrückt erklären, aber wir haben ihre Münder verschlossen und lachen sie aus, und lachen über uns, laufen weiter, bis alles gut ist. Weil, irgendwann werden wir untergehen, aber jetzt, mein Freund, noch nicht.

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