Die Etikette des Tötens
15/04/2008
Unterwegs in Sachen Mord und Totschlag
Wenn du, fragt er, in deinen Texten die Leute ansprichst, bist du per Sie oder per Du? Immer per Sie, außer, der Text wendet sich an jemand bestimmten.
(Meine Tasche riecht nach Brot, ich hab mich grad gebückt und den Notizblock rausgeholt. Da steht er, der Titel für diesen Text. Schreib ihn schnell auf, dachte ich mir vor ein paar Tagen, der ist gut. Vielleicht gibt es schon ein Buch, das so heißt, einen Kriminalroman, ein Handbuch für Mörder oder Mörderinnen.)
Wenn du, fragt er weiter, jemanden verletzen würdest. Töten. Würdest du diesen jemand mit Du oder Sie anreden? Mit Sie, natürlich, wenn es denn ein Fremder ist. Oder eine Fremde. Ich würde so Sachen sagen wie: Entschuldigen Sie bitte, das wird jetzt ein wenig weh tun. Und mit dem Messer sanft die Haut ritzen. Die vielschichtige Haut. Die Hornschicht leicht zerteilen. Mit einem millimeterfeinen Schnitt beginnen. Aber dann. Tief, tief, tief. Natürlich würde Blut fließen.
So ging das Gespräch noch eine Weile weiter. Das ist gelogen, wir hörten gleich auf, es war ein Telefonat, halbberuflich, aber in meinem Kopf ging es weiter. Szenen aus American Psycho, Szenen aus Büchern von Jean Genet bis Stephen King. Die Messerspitze an den weißen Augapfel gedrückt, bis dieser platzt.
Ich stelle mir vor, wie es ist, ein Gesicht mit der Hand an den groben Putz einer Hausmauer zu pressen. Einen Körper in den Straßendreck zu zwingen. Das Knie im Kreuz des anderen, das Gewicht verlagert. Zwischen mir und Asphalt ein weinender Mensch, der um sein Leben bettelt. Mit einem heftigen Ellbogen-Schlag eine Nase zertrümmern, bis dunkles Blut hervorschießt.
Ich stelle mir vor, wie es ist, jemanden Angst zu machen. Wirkliche Angst. Es ist schwer, bei diesen Bildern zu bleiben. Das ist nicht die übliche idyllische Panoramatapete aus netten Erinnerungen. Ich taste mich durch unbekanntes Terrain, an Gedankenwänden entlang, an Holzwänden mit zerrissenen Plakaten. Es riecht nach altem Leim und nach Hunde- und Männerurin.
Meiner Schwester träumte einmal, sie hätte eine Leiche zu entsorgen. Da ihr nichts Besseres einfiel, ließ sie die Leiche durch die Bügelmaschine laufen, faltete sie säuberlich und legte sie in einen Kasten.
Wenn ich mir vorstelle, einen Menschen getötet zu haben, dann ist der Platz rund um mich und dann bin ich selbst voll Blut und Hautfetzen und Haarbüscheln und meine Zähne sind gefletscht und das Adrenalin stößt durch meinen Körper. Nichts von wegen Etikette. Aber viel Inferno und Höllenqual, blinde Wut, kreischende Dämonen, die sich zwischen den Rippen ins Freie bohren, mit geifernden Mäulern. Da bleibt kein Platz für höfliche Worte vor dem finalen Cut.
Oh, sieh an. Wohin dieser Text führt. Ich sollte wirklich mehr schlafen und weniger Horrorfilme ansehen. Allerdings gibt es gar nicht so viele gute Alternativen.
(Ich hatte Brot gekauft, auf dem Weg nach Hause. Ich ging zu Fuß aus dem 18. in den siebten Bezirk, durch eine nach Land duftende Stadt. Schweinestallgeruch. Die Felder werden gedüngt. Den ganzen Tag hatten wir über Führung gesprochen, auf einer firmeninternen Fortbildung. Der Trainer schrieb auf die Tafel: Krieger, Bauer, Magier und Fürst. Ganz grob wären das die Archetypen. Wo seht ihr euch, hieß es dann.)