Wir sind Schweine
15/04/2009
Gebt mir Vulkanausbrüche und große Kometen
Auf der Suche nach einem windstillen Platz. Durch Wien getrieben, den Bus angestarrt, eingestiegen. Im alten AKH liegen Frauen in der Wiese, barfuß, sonnen ohne Sonne. Die zieht sich Wolken vors Gesicht. Kein Regen. Aber der Wind, man kann nicht auf Bänken sitzen, ohne zu frieren. Weiter, die Strudlhofstiege wird renoviert. Eine Holzstiege führt nebenan bergauf, bergab.
(Ich möchte mich in mich vergraben. Ich möchte weglaufen. Wegziehen. Ich möchte die Faust in fremde Lebern stoßen, Schmerzen erzeugen, Ellbögen in Seiten rammen, in hastiger, eckiger Bewegung. In Kniekehlen treten, mit Wucht nachschlagen, Wunden schaffen, Verwunderung. Dabei ziehe ich mir die Kappe tiefer über die Augen, senke den Kopf und starre auf den Boden. Während ich der Wut nachlausche, die verhallt, nachhallt, nachdröhnt.)
Wir sind Schweine. Meinte eine Frau. Sie schob mit einer Hand einen Kinderwagen, mit der anderen trug sie etwas. Das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt. Diese Schweine, sagte sie zu der oder dem am anderen Ende, stellen das Auto mitten auf den Gehsteig, man kann nicht vorbei. Wir hörten ihr zu, sahen sie kommen. Dass der Umzugswagen unseres Freundes ungünstig stand, wussten wir auch. Eine Viertelstunde Zeit. Um den Mietvertrag zu unterschreiben. Wir warteten auf ihn, den Autoschlüssel in der Hand. Bereit, wegzufahren. Oder vorbei zu helfen. Viele Leute gingen vorbei. Platz genug. Nicht für die Frau, die uns mit Kind, Kegel und Handy unterm Kinn großspurig und breitgoschert umrundete. Uns Schweine.
(Ich wollte. Ihr das Telefon von der Schulter reißen. Es gegen die nächste Hausmauer schleudern, zertreten, zerstören, den pseudobiologischen Schwachsinn aus ihrer Einkaufstasche auf Kühlerhauben verteilen, Joghurtbecher zerquetschen, Obst auf ihren ethisch-korrekten Stofffetzen zu Brei verarbeiten, meine Wut auf ihr auskotzen, meine unpackbare Wut in ihr dummes Gehirn brüllen, hässlich sein, ich wollte so hässlich sein wie irgend möglich und mich dann an den sonnenwarmen Stein lehnen, bis das Beben nachlässt, in ein Zittern vergeht, verweht und ich wieder schnaufen kann.)
Aber, natürlich. Stellte ich nur die Frage, ob wir wirklich Schweine wären. Während Sie dem Wagen auswich und uns durch meine Frage erst bemerkt hatte. Ja, das wären wir. Mein Freund schickte ihr gelassen etwas Passendes nach, ich bebte an seiner Seite. Für mich.
(Gebt mir Lava, gebt mir Macht. Gebt mir Vulkanausbrüche und große Kometen.)
Vorhin im alten AKH. Zwei Botero-Frauen liefen schnaufend vor sich selbst davon. Unabhängig voneinander. Sie hielten sich an den Rändern der Gebäude. Einer hatte die Anstrengung kreisrunde Flecken auf den Wangen gemalt. Frauen laufen oft so in sich verzwickt. Peinlich berührt. Mit weißen T-Shirts und schwarzen kurzen Hosen und was weiß ich im Ohr. Die Schuhspitzen nach außen.
Im Billa beaufsichtigte ein kleines Mädchen zwei noch kleinere Mädchen beim Eiskaufen. Da musst du dies und du musst das und wie viel glaubt ihr, bekommt ihr zurück? Soll ich das Eis aufs Band legen? Nein, du wartest jetzt. Bis Platz ist. Dann legst du es ganz vorsichtig hin. Jetzt. Du nicht. Schnell. Die Größere tat, als hätte sie Macht, die Kleineren taten, als würden sie der Größeren Macht geben.
Als ich in dem Alter war, gab es ein Teppichgeschäft in unserer Straße. Die Besitzer waren nett. Sie hatten eine Dackelhündin. Wir durften mit ihren Welpen spielen. Ich taufte einen davon Moritz, ging mit ihm spazieren. Einmal, und das steht noch überdeutlich in meiner Erinnerung, wisst ihr, dort, wo man vom Schlossplatz zum Mittergraben hinuntergeht, neben der Bezirkshauptmannschaft, dort, bei der kleinen Mauer.
Dort schlug ich dem Hund ein wenig mit der Leine über den Rücken. Wenn ich das tat, winselte er. Stemmte sich mit seinen Beinchen an mir hoch, wedelte, entschuldigte sich für etwas, das er nicht getan hatte. Dann herzte ich ihn. Um ihn dann wieder zu schlagen. Ich schäme mich heute noch.
Oder? Vielleicht sage ich das auch nur, um meine Ruhe zu haben. Wut ist nicht gesellschaftsfähig. Wie war das mit dem Verhalten, dem Wesen und dem Charakter? Das eine prägt, das andere wird unterdrückt.
Ach. Ich werde meinerseits die Laufschuhe anziehen, meine alten, ausgelatschten Laufschuhe, meine schwarzen Laufhosen, mir mit lauter Musik die Ohren vollstopfen und vor mir weglaufen. Oder zu mir hinlaufen. Aber nicht verzwickt. Nicht im weißen T-Shirt. Ich will, dass ihr meine Muskeln seht.