Tell him…
29/09/2010
Die Hoffnung aus Österreich
Den Nachmittag hatte ich in der Stadt verbummelt, war also recht spät unterwegs am Abend, vom Hotel (in der Nähe der Victoria Station), runter zur Albert Bridge, dort ein paar mulmige Momente wegen der engen und einsamen Fußgängerschleuse der für den Autoverkehr gesperrten Brücke, dann von Absolute Radio mit einem 80er-Jahre-Spezial auf Lauftempo gebracht, rund um den dunklen Park getrabt, zurück über die Chelsea Bridge zum Hotel. Das sich fest in pakistanischer Hand befindet.
Kamran, Front-Office-Mitarbeiter mit Migrationshintergrund, lächelte meinem roten Kopf gütig zu. Uns verband ein Erlebnis, in dem ein älterer Italiener und eine zerknitterte Hose eine Rolle spielten. Der Zufall spülte uns zusammen: Ich wartete auf die Rechnung (Barzahlung am ersten Abend ergab Rabatt), der Italiener baute sich neben mir auf und wortschwallte italienisch erst auf Kamran und dann, weil der nichts versteht, auf mich. Ich, neugierig geworden (zum Italiener): You don’t speak Englisch, do you? Italiener: No! Ich: Francais? Er: No! Ich: Deutsch? Er: No! Ich zu Kamran, ob er nicht jemanden holen könne, der Italienisch spricht. Kamran: No!
Am Ende diskutierten wir die Situation mit Hilfe meines Netbooks und dem Google-Translator, wobei mir der Italiener in Druckbuchstaben aufmalte, was er selbst nicht tippen konnte (dazu war er zu aufgewühlt), ich brav eintippte, die Übersetzung Kamran vorlas, der mit einem „Tell him“ die Antwort einleitete, welche wiederum von mir brav eingetippt wurde, übersetzt, der Italiener las die Antwort über meine Schultern, wortschwallte, schnappte sich den Bleistift und malte seine Druckbuchstaben.
Es ging um ein Zimmer, das nicht sein Zimmer war, einen Koffer, der nicht dort war, wo er sein sollte, sondern woanders, und um eine in den Koffer gestopfte Hose. Eine hastige Skizze des Italiener-Zimmers oder –Nichtzimmers, hingeworfen auf die Rückseite meiner Rechnung, das Waschbecken hätte sich in der Nacht vorher hier befunden und nun wäre es da, und die Kommode wäre molto più grande, perché?
Kamrans Schulterzucken löste den nächsten italienischen Wortschwall aus, direkt in mein rechtes Ohr, während ich frontal versuchte, das eigentümliche Englisch des Pakistani zu verstehen. Beide redeten auf mich ein. Ich bin die Hoffnung aus Österreich, die Schnittstelle im kulturellen Getöse, das neutrale Niemandsland im hektischen Getriebe Londons.
Mir wurde heiß. Ich deutete mit dem Zeigefinger, beide verstummten, ich zog meine Jacke aus, legte sie sorgfältig auf die Bank zu meiner Tasche, und stellte mich, die Ärmel hochschiebend, wieder an die Sprachbarriere.
Nach einer Stunde kam Andrea, um nach mir zu sehen, der Italiener, der kurz zuvor mit seiner Hose herumgefuchtelt hatte, griff sich kurz in den Schritt, und ich hielt meine Mission für beendet. I have to go now, sagte ich zu Kamran, dem Italiener tippte ich Entsprechendes in den Übersetzer, beide bedankten sich höflich, worauf ich, Glück wünschend, verschwand.
Perfektes Timing, die italienische Reisebegleitung in Form von fünf mitteljungen Männern enterte die Rezeption, meinerseits hielt ich Andrea kurz am Jackenzipfel zurück, man will ja die Pointe nicht verpassen, und, ja, keiner von ihnen sprach auch nur ein Wort Englisch. Eine durch die Luft segelnde Hose beendete das Mysterium interimistisch, denn jetzt gingen sie essen, und morgen wolle er seine Hose gebügelt wieder haben. Basta. Um das zu verstehen, reichte das bereits öfter erfolgte Studium von Pizzeria-Speisekarten und globaler Gestik.
Sechs schimpfende Italiener drängten sich an uns vorbei, wir folgten mit etwas Abstand. Schöpften Luft, wanderten durch die Stadt. Tranken schweigend ein halbes Pint Bier. Ich ein dunkles.
Ein paar Tage später dann der Lauf um den „Battsi-Park“ (wie ihn die Londoner nennen), Kamran hatte wieder Dienst und ich vergaß zu fragen, ob sich das Zimmer-Mysterium geklärt hat. Vielleicht hatten sie ja zumindest die Hose bügeln lassen.