Kosovo, Nr. 1
08/09/2019
„Prishtina has no river“ heißt das Artist-in-Residence-Programm, für das ich mich vor einem halben Jahr bei Qendra Multimedia beworben habe. Meine Bewerbung war erfolgreich, die Residence ist angetreten. Ich sitze an einem Küchentisch in Prishtina und schreibe diesen ersten Bericht, am Abend des siebten von achtundzwanzig Tagen, die ich im Kosovo verbringen werde. Sieben Tage sind schon vergangen, warum, wohin?
Das ethnologische Museum wird renoviert, zu sehen war daher bei unserem Besuch nur ein Teil davon, ein typisches, altes, altes Haus. So wohnten früher wohlhabendere Leute, mit einem eigenen Eingang für die Gäste, denen das größte, schönste Zimmer vorbehalten blieb, darin ein Kasten immer frisch gefüllt mit Speise und Trank (falls Ankunft bei Nacht).
Gastfreundschaft, so alle, so überall: Gastfreundschaft ist immer noch das wichtigste Gut. Sagt Selvije, die ihre Wohnung, ihren Kühlschrank, ihre Zeit mit mir teilt, jung, feministisch, politisch wach und klar. Wir trinken mit ihrer Freundin Floride Kaffee in Lulu’s Coffee & Wine, unterhalten uns, und ich staune über das hohe Maß an Selbstreflexion bei diesen jungen Frauen. Unsere Gespräche beschäftigen mich, ich lege diese Gedanken zur Seite, sie lassen sich nicht schnell erzählen.

Gespräche mit Selvije und Floride in Lulu’s Coffee & Wine. (Weitere Uptakes, nicht nur aus Prishtina, gibt es auf meiner Seite Uptakes from Below)
Allein unterwegs in den Straßen Prishtinas überlege ich: Worüber möchte ich schreiben? Was ist zu berichten? Das Vorhandene, fällt mir ein, das, was ist. Nicht das, was fehlt. Und wünsche mir auf der Stelle eine dieser Truhen, wie sie im typischen kosovarisch/albanischen Haushalt zu finden waren über Jahrhunderte, wie sie sicher noch zu finden sind. Eine dieser Truhen, in denen etwa die Aussteuer der Braut aufbewahrt wurde, auch im bäuerlichen Österreich gebräuchlich und bekannt.
Wünsche mir so eine Truhe, um alles hineinzulegen, jedes Bild, jede Erfahrung, um Bilder und Erfahrungen nach und nach herausziehen zu können, um aus dem Überfluss schöpfen. Als da wäre (ich schlage mein Notizbuch auf und zitiere wild und durcheinand’):
Wer noch nicht im Kosovo war, noch nicht in Prishtina, braucht sich nichts zu erwarten, denn es ist ohnehin anders.
Auf die Frage, was „Llokuma“ ist, sagt der Kellner: „Something like a donut, but not really a donut.“ Mein erstes Frühstück im Kosovo.
Die Kellnerschaft scheint fest in männlicher Hand zu sein. (Es soll auch Kellnerinnen geben.)
Ich merke mir das albanische Wort für Danke, „Falemnderit“, weil es mich an das österreichische „Habe die Ehre“ erinnert. (Alles eine Sache der Betonung.)
Es gibt unglaublich viele junge Leute hier.
Kosovo hat den besten Kaffee Europas. Sagt Floride. Ich sage: Stimmt.
Wir sehen uns das Ländermatch Kosovo gegen Tschechien an, im Gastgarten einer Bar. Smooth-Jazz als Untermalung des Sportkommentators. Beim ersten Tor stöhnt die ganze Straße. Bei allen weiteren jubelt sie. Kosovo gewinnt 2:1. Ein überglückliches Toben und Lärmen.
Am Sonntagmorgen begleiten uns drei Straßenhunde völlig unaufdringlich bei unserem Spaziergang. Man lässt sich gemeinsam in einem Parkcafé nieder, die einen sitzen bei Tisch, die andere liegen im Gras zwischen den Bäumen. (Ich entwerfe die Geschichte von Straßenhunden, die sich uneins sind und streiten: Gehen wir hier mit. Nein, hier, du kennst dich nicht aus mit Menschen! Aber du!)
Im Park sind Hängematten gespannt, Sitzpölster auf dem Boden verteilt, aus Autoreifen Tische gebastelt: ein neues Café. Eine Leinwand, am Abend werden dort Filme gezeigt. Selvije kippt aus einer Hängematte, wir lachen. Ein Schild auf dem Lampenbaum sagt „Welcome“.
So ist es.
Würde jetzt die Waschmaschine noch den Schleudergang starten, wäre das ein perfektes Ende für diese erste Woche. Es ist verdächtig still im Badezimmer. Besser, ich seh nach.