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Die "Alpha-Blumen" ...

Die „Alpha-Blumen“, fast zu groß für unsere Wohnung.

… über die Verleihung des Literaturpreis Alpha 2015 für „Watschenmann“. Was für eine Freude!

Mein Dank gilt der Alpha-Fachjury mit Paulus Hochgatterer, Gabriele Madeja, Ernst Molden und Christian Jahl, außerdem natürlich Dietmar Hoschers Casinos Austria-Team rund um Thorsten Leitgeb für die Ausrichtung von Preis & Gala. Die Laudatio von Paulus Hochgatterer ist wunderschön und bestärkt mich sehr. Auf der Presseseite der Casinos Austria finden sich noch weitere Informationen und Bilder.

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Kein Rabe für Heinrich. Die ersten zwei Regeln. Vielleicht auch die dritte.

An einen Raben will er denken, an einen, der sich gegen den Wind stemmt. Lydia meint, das steht ihm nicht zu, das taugt nix. „Warum?“ „Der Rabe ist zu hoch für dich, zu schön.“ Heinrich versteht nicht gleich. „Wirst schon verstehen“, sagt sie, sagt oft solche Sachen und erklärt sie dann nicht. „An was denkst du, Lydia, wenn du geschlagen wirst?“ Statt einer Antwort spuckt sie vor seine Beine. „Wirst wohl aufhören mit der Fragerei. Wochenlang redest nix, und dann.“

Heinrich weiß schon, dass es schwer ist am Anfang. Du wartest auf den Schlag, auf den Tritt gegen Arm oder Bein. Und weil du wartest, weil alles bereit ist, alle Nerven, weil die Haut sich hindehnt und die Synapsen im Kopf flimmern und zucken, weil das so ist, blitzt es. Wenn sich der Stiefel ins Schienbein bohrt. Oder der Absatz von Damenschuhen in die Rippen. Auch das gibt’s. Dann blitzt es vor den Augen, du gehst in die Knie, windest dich auf dem Boden. Wie ein Wurm, zwischen Hundehaufen und Mist. Windest dich und stöhnst. Oder wimmerst. Noch schlimmer. Dann treten sie stärker, damit du aufhörst. Das hat keine Logik. Und weil es keine hat, hat es eine.

„Da capo!“ Lydia kreischt vor Lachen, hässlich ist sie, als sie es Dragan erzählt. Da liegt einer auf dem Boden und bittet höflich, noch einmal hinzutreten. Heinrich hasst sie in dem Moment. Na, weil sie Recht hat. Daher auch das Humpeln. Zuviel Zugabe bekommen. Klappe nicht halten können. So schaut’s aus.

Also kein Rabe. Über dem Sturm, nein, über dem Platz. Heinrich hat da so einen Vogel gesehen, kurz vor dem Sturm. Er flog über den Platz, die Bäume griffen in der Luft herum. Die war voller Staub und Sand, von der Baustelle beim Schottenring, wo sie das Hochhaus vom Boltenstern hinstellen. Am Sonntag gehen die Familien Bagger und Baugrube schauen. Die Büro-Väter erklären Bewehrungen und Verstrebungen, und die Hausfrauen-Mütter nicken und sagen, man solle aufpassen, was der Vati erzählt. Und sich nicht schmutzig machen am Bauzaun. Danach gibt es ein Eis am Schwedenplatz. Schöne neue Welt.

Der Vogel flog gegen den Wind. Er stemmte sich quer über die Leute, die ihre Kinder und Taschen packten und gingen, aber Heinrich blieb sitzen und sah dem Raben zu. Weil der so aussah, als würde er schwitzen. Das waren nur seine Federn, die glänzten blauschwarz.

„Warum soll der Junge nicht an einen Raben denken, Lydia? Ein Rabe ist so gut wie jedes andere Tier.“ Dragan zeichnet mit seinem Stock Linien in Lydias Spucke. Dann steht er auf, putzt sich den Dreck von der Jacke, gähnt. „Ich bin hungrig“, sagt er. „Woran denkst du, Dragan, wenn man dich schlägt?“ Dragan sieht ihn an, die hellen Haare, das schmale Kinn. „Hm. An meine Eier, wenn es den Kopf erwischt. An den linken Daumen, wenn es die rechte Hand treffen wird. Wenn sie mir in den Arsch treten, denke ich an dich, psiću.“ Psiću. Kleiner Hund. Er lacht. Und geht. Abgang, Abmarsch. Weg. „Pazzo“, murmelt Lydia.

Lydia und Dragan. Das ist so eine Sache. Seit Heinrich mit ihnen durch die Stadt zieht, denkt er über sie nach. Was er halt nachdenken nennt. In seinem Nachdenken sind die beiden ein Paar. Sind Mutter und Sohn. Sind gar nichts. Lydia war zuerst da. Heinrich ist in ihr Versteck gestolpert, wäre ihr fast in die Arme gefallen. Versteck darf er nicht sagen. Dragan meint, es ist anders rum. „Draußen versteckt sich die Welt vor uns.“ Wie er uns gesagt hat, hat Heinrich gewusst, er meint ihn auch. Und ist geblieben. Dragan nennt den Verschlag palata. Lydia sagt, es wäre nicht mehr als eine Bruchbude, eine versaute Dreckshöhle, ein paar Bretter hinter einer leeren Werkstatt. Wahrscheinlich war das früher ein Schuppen. Wahrscheinlich ist der Schuster tot. Zerschossen. Oder bei den Russen. Dem Jungen ist das gleich. Es ist ruhig und trocken. Mehr braucht man nicht.

Die Werkstatt ist versperrt. Heinrich presst die Nase so fest an das Glas, dass es knackt. Brich, denkt er, brich einfach. Dann komme ich rein in deine Zeit. Lydia erwischt ihn vor den Fenstern. „Verschwinde“, schimpft sie, „das gehört dir nicht.“ Dass das niemanden mehr gehört, ist ihr egal. Dann gehört es sich selbst. Lydia, könnte er sagen, ich tu‘ doch nichts. Ich nehm‘ keinem etwas weg. Aber er schweigt. Er wartet, bis sie mit dem Stock droht. Bis sie damit auf seine Beine drischt. Bis sie ihn fortschwemmt mit ihren Flüchen. Dragan hat viele Namen für Lydia. Dušo moja. Meine Seele. Ljubavi. Liebste. Srećo moja. Mein Glück. Vielleicht sind sie ja doch ein Paar.

(Siegertext beim LiteraturPreis Wartholz 2013 – Kapitel 1 und 2 des Watschenmannes auf Schloss Wartholz/Siegertexte)

Der Morgen weht graues Licht durch die Straßen. Fräulein Luise und die anderen verlassen, zerschlissene Jacken umgeworfen, die nächtliche Gruft, ihr Asyl. Sie gehen, stolpern, hinken in den Park, zum Bahnhof, in Wärmestuben, aufs Arbeitsamt, zum Supermarkt, zum billigen Tetra-Pak-Rotwein, den sie teilnahmslos der Kassiererin unter die Nase halten, den diese teilnahmslos abkassiert, worauf in kleinen Münzen umständlich bezahlt wird, derweil dahinter der Herr mit dem  Käse-Mortadella-Weckerl ungeduldig ein Wirtschaftsblatt über die Mini-Schnapsflaschen deckt, die, ihrerseits ungeduldig, warten und raunen und klagen, dass sie getrunken werden wollen. Sind praktisch, sagt der Herr in die Fischaugen der Kassiererin, für die Verdauung. Und die sagt nix außer „10,90. Brauchen‘s ein Sackerl?“ Derweil humpelt das Tetra-Pak schon wieder auf der Straße, steigt verboten, weil gratis, in eine Straßenbahn, setzt sich neben eine hübsche Blonde, die dann doch aussteigen möchte, ein paar Stationen zu Fuß wären gut, das Wetter ist so schön, drückt sich vorbei am Geruchskatalog, den Finger an der Nase, man will ja nicht unhöflich sein. Die Straßenbahn hält, die Tür öffnet, die Blonde zieht Luft ein, fragt sich, ob sie wohl jetzt auch stinkt, riecht am Ärmel des guten Mantels, dabei klirren ihre Armreifen, was zwei Männer gegenüber hören, die gerade ein Auto beladen oder entladen, das sieht man von hier nicht so genau, um das zu sehen, müsste man länger hier stehen, und für den Moment ist ohnehin Stillstand im Beladen oder Entladen, weil sie der Bewegung einer Hand zusehen, die Männer, und hellem Haar beim Glänzen. Derweil ihr Chef sein Auto in eine Lücke zwängt, was nicht so einfach ist, wenn die Mini-Schnapsflaschen in der Brusttasche zetern und wetzen, weil sie, endlich, getrunken werden wollen, also touchiert der Herr, um sich zu beruhigen, das Vorderauto, einen Fiat Punto. Weiberauto, raunzt der Herr, dessen knatschiges Touchiergeräusch, dieser kleine Lärm, den Blick der zwei Männer zurückgepfiffen hat, und flugs arbeiten sie weiter. Die Blonde stöckelt davon, befriedigt vom Nichtstinken, gelobt sei die Parfumgöttin, übersieht fast die Pantoffeln vom Fräulein Luise, das sich gewächsartig im Eingang eines leer stehenden Eineuroshops ausgebreitet hat, mit einem Teppich aus Gratiszeitung und Karton unter dem Hintern, zwei mit Fetzen und Zeug prallvolle Billasackerln hinter dem krummen Rücken. Eine verfilzte Kugel, die Jacke falsch geknöpft, darüber zahnloses Misstrauen, darunter dickstrumpfige Beine auf den Gehweg streckend, die Zehen löchrig grüßend. Die Arme, denkt die Blonde, Hausschuhe! Und was für eine Welt. Bückt sich kleingeldgebend, geht weiter, weil genug. 75 Cent, zählt Fräulein Luise, greift sich die Wasserflasche und begießt die Ecken links und rechts, angepisst wirkt besser. Rinnsale wachsen auf Beton, derweil am Praterstern Tetra-Pak begrüßt wird mit großem Hallo.

(Preis der Jury beim Wettbewerb für Kürzestprosa, veranstaltet vom Schreibwerk Berlin im Jänner 2011. Erschienen in der Anthologie „Kühner Kosmos“, Landbeck Verlag.)



Was für eine Reise, meinte Barnabas, worauf Bohumil wie immer nicht antwortete, warum auch, war ja keine Frage. Die Nacht war in die Gassen gekrochen und trieb die beiden vor sich her. Was werden wir essen, heute, Bohumil? Barnabas hob die Hand und zählte ab: fast ganz frisches Brot, Tofu-Würste, Bio-Tomaten und Haferkekse, du weißt schon, die trockenen mit Nüssen. Bohumil schwieg und ging weiter, die Nacht im Nacken. Weißt du, Bohumil, vielleicht haben wir Glück und sie entsorgen die Getränke und wir trinken heute wieder Traubensaft, wie vor ein paar Tagen, das war ein Fest.

Barnabas trieb fröhlich um die Ecken, sein Frohsein war nicht abhängig vom Reden des anderen, nur da sein sollte Bohumil, hinter, vor und neben ihm, das Reden besorgte er schon selbst. Aber das Alleinsein wollte er nicht mehr besorgen, schon gar nicht in der Nacht, die an Bohumil hing wie ein Hund an der Leine. Ohne den anderen war da nichts zahm und nichts sanft, das wusste Barnabas und drängte den Gedanken weg, scheuchte die Dämonen die Hausmauern hinauf, indem er sich zu Bohumil drehte und ihn berührte. Ihm die Hand auf die Schulter legte. Sich beruhigte. Gerade wollte er wieder reden, da schnappte etwas kurz vom Haus herunter, das Licht flackerte, brizzelte, zuckte und zackte und setze aus, stob wieder an, zitterte über Asphalt und Beton, erlosch und tauchte die Welt ins Dunkel. Bohumil blieb stehen. Er seufzte und legte seine Hand auf die des anderen, die sich in seiner Schulter verkrampft hatte. So standen sie drei Sekunden. Vier Sekunden. Fünf. Ein Summen, ein Klicken und Klacken, das Licht kam wieder, verschämt zog es sich hoch an den Wänden zu den Lampen und Fenstern, hinter denen Feuerzeuge erloschen und Kerzen ausgeblasen wurden, die eben erst angezündet worden waren. Ein Kichern in der Luft. Die Barnabas laut einsog. Die Bohumil mit schweren Schritten teilte, den Druck noch auf der Schulter, aber die Nacht wieder an der Leine.

Schweigend gingen sie, drei Gassen grad, zwei rechts, vier nach vor, einmal quer durch den Park, ein wenig durch den Frühling, wie Barnabas meinte: Man könne ihn schon riechen, riechst du ihn, Bohumil? Aber der brummte nur, immerhin, ein Brummen war viel, meistens gab es nicht einmal das.

Auszug aus dem Text „Bohumil und Barnabas“, erschienen in „Die Rampe“ (2/10).