Home

Totenwasser

16/02/2018

Greif den kühlen Wasserhahn, tausendmal gegriffen.

Der Schwengel des alten Brunnens auf und ab, am Friedhof, es gab die modernen Pumpen noch nicht: War es Arbeit, die Gießkannen zu füllen? Diese dann, links eine, rechts eine, durch die Gräberreihen zu schleppen, scheu Abkürzungen über fremden Marmor nehmend. Die Kannen aus grauem Zink zu schwer, ein Gutteil verschüttet, die Spur auftrocknend. Zehn Schritte später verschwunden.

Mit nassen zarten Knöcheln, nassen nackten Waden und einem Ziehen in den Armen, die Finger schmerzten vom harten, vom schneidenden Griff. Stand das Kind vor dem Familiengrab. Im Sommer, ein Abend, die Hitze ins Warme sinkend. Amseln schlugen, flogen zeternd und tief, schwarze Bewegung, kurz auf und ab und hoch in den Baum. Welch ein Gesang.

Baum und Gesang wachten über Kindergräber, nur die ersten vier im Schatten, stand die Sonne hoch. Die anderen, kleine Gevierte, winzige Graslandschaften, vertrocknete Zweige, die Kränze einst waren, Blumen aus farblosem Plastik, unbarmherzig lichtverbrannt und wettervergilbt, weil alt, weil schon immer. Weil Kinder dort begraben worden waren lang vor der eigenen Zeit. Engel aus Gips, grünspannige Flügel vor die ausradierten Gesichter gezogen, verwischte Spuren der Trauer. Auf Grabsteinen ewige Erinnerung, unser Sonnenschein, zu früh gegangen, zu früh in den Himmel geholt. Bis wir uns einst wiedersehen, geh du voran.

Es dunkelte, rundum wurden Kannen geleert, tropften Worte, wie Wasser tropft, alte Gräber. Die ganz frischen musste man nicht gießen, erst verdorrten die Kränze, erst senkten die Nelken, die Lilien und Rosen ihre Köpfe, wurden welk und grau, warum? Das Feuchte verlor sich in die hereinbrechende Nacht. Mit den letzten Besuchern verließ das Kind den Friedhof, über dem kühle Luft aufstieg, die Gießkannen hingen still auf dem Gestell beim Brunnen, vorhin waren sie noch aneinander geschlagen. In den steinernen Grandern zitterten Pfützen, würden Tiere kommen und trinken. Was lebte und lebt alles auf Friedhöfen? Vieles.

Während das Kind zögerte, nicht ins Haus gehen wollte, gefangen von diesem Nachten, weil es noch im Garten stand und Teil war, barfuß im Gras, Tauversprechen an den Sohlen. Was wäre, dachte es, bliebe ich stehen? Auch im Abendstern ein Zittern, der große Wagen, das Sternbild des Löwen, den Tidenhub des Mondes im zellwandigen Körper.

(Miniatur zu Oskar Stockers Projekt Pure Life)

 

hommage an h.c.

02/12/2016

vua lauta miadsei
bin i gaunz kla

und dra mah a nest
aus süwane fodn
und glaunzate äst

goscherter mond

05/08/2016

goscherter mond
im nöwi zaspringt dei liacht
über da gstetten

(c) montage aus "<a href="https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3ABraunau_Hitlerhaus_2.jpg" target="_blank">hilter geburtshaus</a>" von  thomas ledl (lizenz: <a href="http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0" target="_blank">creative commons</a>), via wikimedia commons und "<a href="https://www.flickr.com/photos/clearlyambiguous/17467872" target="_blank">funhouse mirrors</a>" von scott robinson (lizenz: <a href="https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/" target="_blank">creative commons</a>)

montage aus thomas ledl/scott robinson (lizenzen/infos)

nicht abreißen. kein mühsames gedenken. wer liest die tafeln? niemand. das innere zu entkernen ist aussage genug. raum für eigenes denken. außen? verspiegeln! klarspiegel, zerrspiegel, konkav und konvex. die fassade, fenster, türen, zwischenräume: steht neugierde davor, trauer, angst oder bewunderung, stilles gedenken oder verklärung, sieht sie was? immer nur sich selbst.

 

martini rosso
in budapest
egészségére, oma

zieht regen über’s land, steigt in furchen
schrägt in kurven in wellen in kleinen gewässern
apriliert wind, verbrist sich, zupft
an dächern, an schindeln
schiebt seine luft, seine luftigen finger
will lösen und heben und lupfen und fahren
will stöbern
getobtes getöse
frustiges jagen
dem heurund das fell abgezogen
weiße gespenster losgelassen
flattern sich hoch mitten im acker
graue straße glänzt den himmel herab

was nacktes. oder? getickte nacht zerteilt. in den büschen rascheln die vögel im schlaf. nicht die blätter: die vögel. oder katzen. könnten auch ratten sein. was stehst du am fenster? wieso greift nichts nach mir, wieso ist oben, im hofdächergeviert, der himmel bleidunkles anthrazit? gekipptes gebirge aus schwarzer schattierung, verkehrt lockt der gipfel. schauen muss ich, schauen. das versteht doch kein mensch. farbtupfer husten, hupen. was nacktes? sicher.

aufzug ohne wände, der boden: ein halbes oval. direkt am schacht betongesause hinunter, hinunter, spürst du den wind? ein fremder und jemand, der ich war und nicht ich. ich/nichtich bog den rücken, hatte flügel und keine. ein zittern, schmetterlingshaut hielt dem luftzug kaum stand. dann ende. ein quaderraum schatten, nicht mehr. sehr lautes getöse, sehr, sehr lautes getöse, fabriklärm, ein dröhnen, ein monoton über allem. dazwischen der fremde, gelächter, schrie herüber zu mir, die ich war und nicht, schrie mit kraft, dass man höre auf armlängendistanz: das sei normal in der hölle, das gäbe es hier immer wieder. er meinte den lärm.

tag, tag, tag. die steinbank wärmt den hintern, der wind beißt, wo er kann. ein regiment braver wasserflächen. in strenge form gebrachte anlockorte für bälle aller art. für leere plastikflaschen. zerquetscht, verdreht. für park-ozeanographen. für froschlaichsucherinnen. für spiegeltolle krähen und spatzen mit humor. im glitzersonnenlicht wächst unter miniwellen algengrüne anarchie. das schilfhaar kurz geschoren.

fledermausverbündete. erdhügelerklimmerin. nasses gras schaudert dem morgen entgegen. amseln blinzeln, ob es schon graut. räuspern sich, probehalber. tief am firmament kriecht orion dem winter hinterher.